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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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immer der Fall war, wenn Withal zu ihm zitiert wurde. Der Rauch aus dem Kohlebecken erfüllte das Zelt, quoll aus dem Eingang und wehte mit der sanften Brise davon. Eine knorrige dünne Hand tauchte aus den Falten eines Ärmels auf, als der Gott winkte. »Komm näher«, krächzte er. »Setz dich.«
    »Du bist nicht mein Gott«, sagte der Junge.
    »Setz dich hin. Ich bin weder kleinlich noch allzu feinfühlig, junger Krieger.«
    Withal sah, dass der junge Bursche zögerte; schließlich setzte er sich aber doch auf den Boden, verschränkte die Beine und schlang die Arme um den zitternden Oberkörper. »Es ist kalt.«
    »Ein paar Felle für unseren Gast, Withal.«
    »Felle? Wir haben keine …« Er unterbrach sich, als er das Bündel Bärenfelle sah, das neben ihm aufgestapelt war. Er hob es auf und warf es dem jungen Burschen zu.
    Der Verkrüppelte Gott streute ein paar Samen über die glühenden Kohlen. Prasselnde Geräusche, dann noch mehr Rauch. »Frieden. Wärme dich auf, Krieger, während ich dir vom Frieden erzähle. Geschichte ist unfehlbar, und selbst der unaufmerksamste Sterbliche kann sie verstehen, wenn sie sich nur oft genug wiederholt. Betrachtest du Frieden als wenig mehr als die Abwesenheit von Krieg? Oberflächlich betrachtet ist er vielleicht genau das. Doch lass mich die typischen Eigenschaften von Frieden beschreiben, mein junger Freund. Eine alles durchdringende Betäubung der Sinne, eine Dekadenz, die die Kultur heimsucht, weil Letztere zunehmend von niederer Unterhaltung besessen ist. Die höchsten Tugenden – Ehre, Loyalität, Opferbereitschaft – werden als kitschige Ikonen hochgehalten, als Währung für die billigsten Mühen. Je länger der Friede andauert, desto häufiger werden diese Worte gebraucht, und desto schwächer werden sie. Gefühlsduselei durchdringt das tägliche Leben. Alles wird eine Nachäffung seiner selbst, und der Geist wird … ruhelos.«
    Der Verkrüppelte Gott machte eine Pause, um rasselnd Atem zu schöpfen. »Ist dies eine außergewöhnlich pessimistische Sichtweise? Erlaube mir, mit meiner Beschreibung dessen, was auf eine Periode des Friedens folgt, fortzufahren. Alte Krieger sitzen in Gasthäusern, erzählen Geschichten von einer kraftvollen Jugend, von ihrer Vergangenheit, als alles einfacher und klarer war. Sie sind dem Verfall um sie herum gegenüber nicht blind, sie sind gegen den Verlust des ihnen gebührenden Respekts nicht immun – des Respekts für all das, was sie für ihren König, ihr Land, ihre Mitbürger gegeben haben.
    Die Jungen dürfen nicht dem Vergessen preisgegeben werden. Es gibt immer Feinde jenseits der Grenze, und wenn es keine echten gibt, dann müssen sie erschaffen werden. Alte Verbrechen, die aus der gleichgültigen Erde gegraben werden. Kränkungen und offene Beleidigungen, oder Gerüchte darüber. Eine plötzlich wahrgenommene Bedrohung, wo vorher keine war. Die Gründe spielen keine Rolle – alles, was eine Rolle spielt, ist, dass aus Frieden Krieg wird, und wenn die Reise erst einmal begonnen hat, ist ihr Schwung rasch unwiderstehlich.
    Die alten Krieger sind zufrieden. Die Jungen brennen vor Eifer. Der König fürchtet sich, doch er ist von heimischer Drangsal erlöst. Die Armee holt ihr Öl und ihre Wetzsteine hervor. In den Schmieden glüht geschmolzenes Eisen, die Ambosse klingen wie Tempelglocken. Kornhändler und Waffenschmiede und Tuchhändler und Pferdehändler und zahllose andere Versorger lächeln zufrieden angesichts der Aussicht auf neuen Reichtum. Eine neue Energie erfasst das Königreich, und die wenigen Stimmen, die noch Einwände erheben, werden rasch zum Schweigen gebracht. Anklagen wegen Verrat und Massenhinrichtungen überzeugen die Zweifler schnell.«
    Der Verkrüppelte Gott spreizte die Hände. »Frieden, mein junger Krieger, wird aus Erleichterung geboren, in Erschöpfung ertragen und stirbt an falschen Erinnerungen. Falschen? Ach, vielleicht bin ich zu zynisch. Vielleicht bin ich zu alt, habe zu viel gesehen. Gibt es so etwas wie Ehre, Loyalität und Opferbereitschaft tatsächlich? Was verwandelt sie in leere Worte, in Worte, die durch ihren übermäßigen Gebrauch jeglichen Wert verloren haben? Wie lauten die Regeln, nach denen das Gefüge des Geistes aufgebaut ist, und die die Zivilisation wiederholt verdreht und verspottet?«
    Er veränderte seine Haltung leicht, und Withal spürte, dass der Gott ihn anschaute. »Withal aus der Dritten Stadt. Du hast in Kriegen gefochten. Du hast Waffen geschmiedet. Du hast

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