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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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sehen, um ihr zu folgen. Der Geruch hing schwer in der schwülen Nachtluft, unsichtbare Schlieren schwebten in den Luftströmungen, und sie folgte in ihrem Kielwasser, bis sie zu der niedrigen, krummen Mauer kam, die den Azath-Turm umgab.
    Direkt dahinter, am Fuß eines krummen Baums, saß das Mädchen namens Kessel. Es war neun oder zehn Jahre alt, und zwar für immer. Nackt, die bleiche Haut verschmiert, die langen Haare verklebt mit geronnenem Blut. Der Leichnam vor ihr war bereits halb unter der Erde und wurde weiter hinab in die Dunkelheit gezogen.
    Um den Azath zu füttern? Oder irgendwelche gefräßigen Bewohner? Shurq hatte keine Ahnung. Und es kümmerte sie auch nicht. Der Boden verschluckte Leichen, und das war nützlich.
    Kessel blickte auf – schwarze Augen, in denen sich matt das Sternenlicht spiegelte. Da waren Schimmelpilze, die – wenn man sich nicht um sie kümmerte – blind machen konnten, und sie lagen wie ein dicker Film über den toten Augen des Mädchens. Es stand langsam auf und kam herüber.
    »Warum willst du nicht meine Mutter sein?«
    »Das habe ich dir schon gesagt, Kessel. Ich bin niemandes Mutter.«
    »Ich bin dir heute Nacht gefolgt.«
    »Du folgst mir immer«, sagte Shurq.
    »Gleich nachdem du das Dach verlassen hattest, ist ein anderer Mann zu dem Haus gekommen. Ein Soldat. Und er wurde verfolgt.«
    »Und welchen von den beiden hast du getötet?«
    »Den, der dem anderen gefolgt ist, natürlich. Ich bin ein gutes Mädchen. Ich passe auf dich auf. Genauso, wie du auf mich aufpasst …«
    »Ich passe auf niemanden auf, Kessel. Du warst schon lange vor mir tot. Hast hier auf diesem Gelände gelebt. Ich habe dir immer Leichen gebracht.«
    »Niemals genug.«
    »Ich töte nicht gern. Nur, wenn ich keine andere Wahl habe. Außerdem war ich nicht die Einzige, die deine Dienste in Anspruch genommen hat.«
    »Doch, das warst du.«
    Shurq starrte das Mädchen einen langen Augenblick an. »War ich das?«
    »Ja. Und du wolltest meine Geschichte hören. Alle anderen laufen vor mir weg, genauso, wie sie jetzt vor dir weglaufen. Abgesehen von dem Mann auf dem Dach. Ist er auch jemand, der nicht wie alle anderen ist?«
    »Ich weiß es nicht, Kessel. Aber ich arbeite jetzt für ihn.«
    »Ich bin froh. Erwachsene sollten arbeiten. Es hilft, ihren Geist zu füllen. Ein leerer Geist ist schlecht. Gefährlich. Er füllt sich selbst. Mit schlechten Dingen. Keiner von ihnen ist glücklich.«
    Shurq neigte den Kopf. »Wer ist nicht glücklich?«
    Kessel wedelte mit einer schmuddeligen Hand in Richtung des zerwühlten Hofs. »Sie sind ruhelos. Alle. Ich weiß nicht, warum. Der Turm schwitzt jetzt die ganze Zeit.«
    »Ich werde dir ein bisschen Salzwasser bringen«, sagte Shurq. »Für deine Augen. Du musst sie auswaschen.«
    »Ich kann genug sehen. Denn ich sehe jetzt mit mehr als meinen Augen. Meine Haut sieht. Und kostet. Und träumt von Licht.«
    »Was meinst du damit?«
    Kessel schob sich ein paar blutige Strähnen aus dem herzförmigen Gesicht. »Fünf von ihnen versuchen herauszukommen. Ich mag die fünf nicht – ich mag die meisten von ihnen nicht, aber die fünf mag ich ganz besonders nicht. Die Wurzeln sterben. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Sie flüstern davon, wie sie mich in Stücke reißen werden. Bald. Ich will nicht in Stücke gerissen werden. Was soll ich tun?«
    Shurq schwieg einige Zeit. Dann fragte sie: »Wie viel spürst du von den Vergrabenen, Kessel?«
    »Die meisten sprechen nicht mit mir. Sie haben den Verstand verloren. Andere hassen mich, weil ich ihnen nicht helfe. Manche betteln und flehen. Sie sprechen durch die Wurzeln.«
    »Gibt es welche, die dich um gar nichts bitten?«
    »Manche schweigen immer.«
    »Sprich mit ihnen. Finde jemand anderen, mit dem du sprechen kannst, Kessel. Jemanden, der dir vielleicht helfen kann.« Jemanden, der deine Mutter sein will … oder dein Vater. »Frage sie nach ihren Meinungen zu allen möglichen Dingen. Wenn dann einer übrig bleibt, der nicht versucht, dir zu gefallen, der nicht versucht, deine Wünsche zu verdrehen, damit du ihn befreist, und der den anderen gegenüber nicht loyal ist, dann wirst du mir von genau diesem erzählen. Alles, was du weißt. Und ich werde dir Ratschläge geben, so gut ich kann – nicht als Mutter, sondern als Freundin.«
    »In Ordnung.«
    »Gut. Nun, ich bin aus einem anderen Grund hierher gekommen, Kessel. Ich möchte wissen, wie du den Spion getötet hast.«
    »Ich habe ihm die Kehle durchgebissen. Es

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