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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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mageren Gesichtszüge huschen sah.
    »Das wird dann dein Problem sein, Trull Sengar, nicht meines. Und jetzt zieh. Vorsichtig.«
     
    Der Dämon schlug seine kleinen Augen auf. Er fuhr sich mit den gewaltigen Pranken über die Stellen, an denen die Wunden gewesen waren, und seufzte.
    Die Heilerin trat zurück. »Ich bin fertig. Aber es müssen noch eine ganze Menge Leichen eingesammelt werden.«
    »Ich danke dir«, sagte Trull.
    Sie antwortete nicht. Wischte sich nur den Regen aus dem Gesicht und ging davon.
    Langsam stand der Dämon auf. »Ich werde wieder kämpfen«, sagte er.
    »Nicht, wenn ich ein Wörtchen mitzureden habe«, erwiderte Trull. »Ich werde dich in meine Obhut nehmen.«
    »Damit ich nicht kämpfen muss? Das wäre nicht gerecht, Verweigerer. Ich würde miterleben, wie meine Artgenossen sterben, doch ich würde weder ihr Risiko noch ihr Schicksal teilen. Es ist traurig, so weit weg von zu Hause sterben zu müssen.«
    »Dann muss einer von euch übrig bleiben, um sich an die anderen zu erinnern. Und das wirst du sein. Wie heißt du?«
    »Lilac.«
    Trull betrachtete den Himmel. Es sah nicht aus, als würde es in absehbarer Zeit aufhören zu regnen. »Komm mit. Ich muss mit meinem Bruder sprechen.«
     
    Tiste-Edur-Krieger betraten die Stadt. Weder auf den Mauern noch auf den Bastionen waren irgendwelche Letherii-Soldaten zu sehen. Das Tor war irgendwann während der Schlacht, von einer magischen Woge getroffen, geborsten. Verdrehte Bronzestückchen und Holzsplitter lagen zwischen Leichen auf der schlammigen Erde.
    Der Dämon hatte unweit des Leichnams eines Artgenossen eine doppelklingige Axt gefunden, die er jetzt über der Schulter trug. Trotz seiner Größe bewegte Lilac sich sehr leise, wobei er seine Schritte kürzer wählte, um an Trulls Seite zu bleiben. Der Edur bemerkte, dass der Atemrhythmus seines Begleiters merkwürdig war. Nach einem tiefen Atemzug nahm er einen zweiten, kürzeren, gefolgt von einem leicht pfeifenden Ausatmen, das nicht aus der breiten, abgeflachten Nase zu kommen schien.
    »Lilac, bist du ganz geheilt?«
    »Ja, das bin ich.«
    Vor ihnen lag die Schanze, auf der vor nicht allzu langer Zeit vier Magier gestanden hatten. Drei von ihnen waren durch die erste magische Woge ausgelöscht worden. Jetzt hatten sich Forcht und ein paar Offiziere auf der Kuppe der Berme versammelt. Und zwei Gefangene.
    Trull und der Dämon machten sich an den Aufstieg und bemerkten schnell, dass der Hang unter ihren Füßen tückisch und schlüpfrig war. Rote, schlammige Ströme, Leichen, die langsam nach unten rutschten. Gespenster bewegten sich durch den Regen, als wären sie noch immer auf der Jagd nach Opfern. Von Westen her ertönte leises Donnergrollen.
    Sie erreichten die Kuppe der Schanze. Trull sah, dass einer der Gefangenen Prinz Quillas war. Er schien unverletzt. Dann war da noch eine Frau in schlammbespritzter Rüstung. Sie trug keinen Helm und hatte eine Kopfverletzung erlitten, so dass die linke Seite ihres Gesichts blutig war. Ihre Augen waren glasig vom Schock.
    Forcht hatte sich umgedreht und blickte Trull und dem Dämon entgegen; sein Gesicht wirkte verschlossen. »Bruder«, sagte er tonlos, »es scheint, als hätten wir zwei Mitglieder der königlichen Familie gefangen genommen.«
    »Das da ist Königin Janall?«
    »Der Prinz geht davon aus, dass wir ein Lösegeld für sie fordern werden«, sagte Forcht. »Er scheint die Lage nicht ganz zu begreifen.«
    »Und wie ist die Lage?«, fragte Trull.
    »Unser Imperator will diese beiden. Für sich.«
    »Forcht, es ist bei uns eigentlich nicht üblich, Gefangene zur Schau zu stellen.«
    Einen Herzschlag lang flackerte Wut in Forchts Augen auf, doch seine Stimme blieb ruhig. »Ich sehe, irgendwer hat deinen Dämon geheilt. Was willst du?«
    »Ich will, dass dieser Kenyll’rah meiner Obhut unterstellt wird.«
    Forcht musterte die ungeschlachte Kreatur. Dann zuckte er die Schultern und wandte sich ab. »Wie du willst. Geh jetzt, Trull. Ich werde nachher zu dir kommen, um unter vier Augen mit dir zu sprechen.«
    Trull zuckte zusammen. »In Ordnung.«
    Die Welt fühlte sich auf einmal an, als wäre sie zerbrochen. Unwiderruflich zerbrochen.
    »Geh.«
    »Komm mit, Lilac«, sagte Trull. Er blieb noch einmal kurz stehen, um Prinz Quillas einen Blick zuzuwerfen, und sah das entsetzte Gesicht des jungen Letherii. Rhulad wollte ihn – und die Königin. Warum?
     
    Sie wanderten über den Todesstreifen, während der Regen leise rauschend weiterfiel;

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