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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Wahnsinn und Entsetzen.
    »Udinaas!«
    So schrecklich allein. Eine Seele, die sich in Agonie wand.
    »Udinaas!«
     
    Zweihundert Schritt entfernt auf der Hauptstraße hörte Uruth Sengar den verzweifelten Schrei ihres Sohnes. Sie fuhr herum, suchte unter denen, die hinter ihr hertrotteten, nach dem Sklaven. In diesem Augenblick schrie Mayen auf, stieß die anderen Frauen beiseite und rannte davon – in ein nahe gelegenes Seitengässchen. Und war verschwunden.
    Vollkommen erstarrt zögerte Uruth einen Augenblick, richtete dann mit einem Zischen ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Sklaven, die sich vor ihr duckten.
    »Udinaas! Wo bist du?«
    Leere, entsetzte Gesichter wandten sich ihr zu. Lauter vertraute Gesichter. Doch keines davon gehörte Udinaas.
    Der Sklave war fort.
    Uruth stürzte sich mitten unter sie und schlug mit den Fäusten wild auf sie ein. »Sucht ihn! Sucht Udinaas!«
    Eine Woge aus Hass durchströmte sie. Auf Udinaas. Auf alle Letherii.
    Verraten. Mein Sohn wurde verraten.
    Oh, wie sie bezahlen würden.
     
    Nun, da die Invasoren durch die Straßen strömten und auf verzweifelte Soldaten stießen, konnte sie von überall in der Stadt Kampfgeräusche hören. Voller Angst kroch das Mädchen namens Kessel auf dem überwucherten Hof von einer Deckung zur anderen und begann zu weinen. Sie war allein.
    Die fünf Mörder waren beinahe frei. Ihr Grabhügel brach auseinander, breite Risse klafften in der dunklen, feuchten Erde; in der Tiefe schoben sich Felsen knirschend gegeneinander. Fünf gedämpfte Stimmen, die sich zu einem Gesang vereint hatten, der schwer wie Trommelschläge klang … und der aufstieg, der der Oberfläche immer näher kam.
    »Oh«, stöhnte sie, »wo sind sie denn alle? Wo sind meine Freunde?«
    Kessel stolperte zu dem Hügelgrab, in dem sich ihr einziger Verbündeter befand. Er war da, ganz nah. Sie griff nach unten -
    - und wurde hineingezogen, durch bebend heiße Erde hindurch, dann stolperte sie rutschend über ein schlammiges Ufer. Vor ihr erstreckte sich unter einem grauen Himmel ein stinkender Sumpf.
    Und kaum eine Armeslänge entfernt stieg eine Gestalt aus dem dunklen Wasser. Weißhäutig, die langen Haare schlammverschmiert. »Kessel!« Die Worte waren kaum mehr als ein angestrengtes Keuchen. »Hinter dir – hol –«
    Sie drehte sich um.
    Zwei Schwerter, deren Spitzen im Schlamm steckten.
    »Kessel – nimm sie – gib sie –«
    Ein feuchtes Keuchen, und als sie herumwirbelte, sah sie die entblößten Arme einer anderen Gestalt, die sich um ihren Freund schlangen – die Arme einer Frau, schlank und muskulös. Er wurde zurückgezogen – sie sah, wie er einen Ellbogen in das verzerrte, schwarz gestreifte Gesicht rammte, das plötzlich aus dem Schlamm auftauchte. Blut spritzte. Doch die Hände, die ihn festhielten, wollten nicht loslassen.
    Und dann sanken beide in die schaumige Brühe zurück.
    Wimmernd kroch Kessel zu den Schwertern. Sie zog sie aus dem Schlamm, schob sich dann wieder an die Wasserlinie. Inmitten der schwappenden Wellen tauchten Gliedmaßen auf. Kessel erschauerte. Und wartete.
     
    Es war so leicht, wieder ein Sklave zu sein, als der Wyrm seinen Körper durchflutete, den Willen jedes einzelnen Muskels, jedes Organs, das dahinrasende Blut in seinen Adern stahl. Udinaas konnte mit seinen eigenen Augen kaum etwas sehen, während Straße um Straße verschwommen an ihm vorbeiglitt. Unerwartete Augenblicke brutaler Klarheit, als er auf drei Wechselgänger-Wölfe stieß – die alle zugleich zähnefletschend auf ihn losgingen –, und dann war er mitten unter ihnen, seine Hände waren jetzt Krallen, die daumenlangen Klauen zerfetzten Wolfsfleisch, legten sich um Rippen, rissen sie heraus. Eine gewaltige, geballte Faust, die von der Seite gegen einen vorschießenden, schnappenden Schädel hämmerte, Knochen zerschmetterte … Der Kopf des Wolfs rollte plötzlich schlaff zur Seite, in seinen Augen stand der leere Blick des Todes.
    Dann wieder Bewegung.
    Sein Herr brauchte ihn. Brauchte ihn jetzt. Er durfte keine Zeit verlieren.
    Ein Sklave. Entbunden von jeglicher Verantwortung, nichts weiter als ein Werkzeug.
    Und dies war, wie Udinaas wusste, das Gift, wenn man sich auslieferte.
    Nah jetzt und noch näher kommend.
    Es ist nicht neu, benutzt zu werden. Schau dir alle diese herumliegenden Leichen an. Arme Letherii-Soldaten, die grundlos tot daliegen. Die den Leichnam eines Königreichs verteidigt haben, einmal mehr allesamt Bürger. Ein Königreich, das sich

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