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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Beddict. Der Finadd war schließlich ein abgrundtief bösartiger Mensch, und Tehol wirkte so … hilflos. Oh, er war körperlich gesund und vermutlich in der Lage, schnell und weit zu rennen, sollte es notwendig werden. Doch es war offensichtlich, dass Tehol nicht die Absicht hatte, irgendwohin zu rennen. Die schweigsamen Leibwächter, die Brys ihm zugeteilt hatte, waren ein gewisser Trost, doch in Anbetracht der Art und Weise, wie Gerun vorzugehen pflegte, konnte es sein, dass sie für ihn nichts weiter als eine kleine Unannehmlichkeit bedeuteten.
    Und als wäre das alles nicht schon beunruhigend genug, war da auch noch das geheimnisvolle Schweigen von Kessel beim toten Azath-Turm. War das eine Folge davon, dass das Kind ins Leben zurückgekehrt und so das Band durchtrennt worden war, das die Toten miteinander verband? Oder war etwas Schreckliches geschehen?
    Sie erreichte die Tür und stieß sie auf.
    Flackernder Lichtschein von einer Laterne erhellte die Gruft; Ublala saß auf dem Sarkophag, die Laterne im Schoß und regulierte die Flamme.
    Sie sah seinen Gesichtsausdruck und runzelte die Stirn. »Was ist los, mein Lieber?«
    »Keine Zeit«, sagte er und richtete sich auf; er stieß sich den Kopf an der Decke und ging wieder in die Hocke. »Schlimme Dinge. Ich wollte gerade gehen.« Er stellte die Laterne auf den Deckel des Sarkophags. »Konnte nicht länger auf dich warten. Ich muss gehen.«
    »Wohin?«
    »Es sind die Seregahl«, murmelte er und rang die Hände. »Es ist übel.«
    »Die Seregahl? Die alten Götter der Tarthenal? Ublala, wovon redest du da?«
    »Ich muss gehen.« Er stapfte Richtung Tür.
    »Ublala, was ist mit Harlest? Wo gehst du hin?«
    »Zum alten Turm.« Er war bereits im Tunnel, und seine Worte wurden leiser. »Ich liebe dich, Shurq Elalle …«
    Sie starrte die leere Türöffnung an. Liebe? Das klang so … endgültig.
    Shurq Elalle trat an den Sarkophag und schob den Deckel zur Seite.
    »Aaahh! Fauch! Zisch! Fauch–«
    »Lass das, Harlest!« Sie schlug die zu Klauen gekrümmten Hände beiseite. »Komm da raus. Wir müssen gehen –«
    »Wohin?« Harlest setzte sich langsam auf, wobei er weiter übte, seine langen Fänge zu entblößen, und knurrende Geräusche von sich gab.
    Sie musterte ihn einen Augenblick, dann sagte sie: »Auf einen Friedhof.«
    »Oh«, seufzte Harlest, »das ist gut.«
     
    Der Imperator der Tiste Edur saß in einer dunkler werdenden Blutlache auf der Straße und hielt sich eine Hand vors Gesicht; es schien fast, als würde er versuchen, sich die Augen herauszureißen. Er schrie immer noch dann und wann – gellende, wortlose Ausbrüche schierer Qual.
    Dreißig Schritt entfernt, auf der Brücke, standen die Letherii-Soldaten stumm und reglos hinter ihren Schilden. Am gegenüberliegenden Kanalufer waren noch mehr Bürger der Stadt zu sehen – Zuschauer, deren Zahl stetig wuchs.
    Trull Sengar spürte, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte. Als er sich umdrehte, sah er sich Uruth gegenüber, deren Gesicht vor Sorge verzerrt war.
    »Mein Sohn, wir müssen etwas tun – er verliert sonst noch den Verstand –«
    Udinaas, der verdammte Sklave, der so wichtig, so unentbehrlich für Rhulad geworden war, für die geistige Gesundheit des jungen Edur – er war verschwunden. Und jetzt tobte der Imperator, erkannte er niemanden. Schaum stand auf seinen Lippen, und seine Schreie klangen wie die eines panikerfüllten Tiers. »Dieser Sklave …«, sagte Trull. »Er muss zur Strecke gebracht werden.«
    »Da ist noch mehr –«
    Hannan Mosag war an Rhulads Seite getreten, und als er jetzt sprach, waren seine Worte weithin zu hören. »Imperator Rhulad, hör mir zu! Dies ist ein Tag dunkler Wahrheiten. Dein Sklave, Udinaas, hat genau das getan, was man von einem Letherii erwarten würde. Ihre Herzen sind voll von Verrat, und sie dienen niemandem außer sich selbst. Rhulad, Udinaas ist weggelaufen.« Er machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: »Vor dir.«
    Der triumphierende Unterton in seiner Stimme war kaum zu überhören, als der Hexenkönig fortfuhr: »Er hat sich zu deinem weißen Nektar gemacht und lässt dich jetzt voller Schmerzen zurück. Dies ist eine Welt ohne Treue, Imperator. Nur deinen Verwandten kannst du vertrauen –«
    Rhulads Kopf fuhr hoch, seine Gesichtszüge waren schmerzverzerrt, und in seinen Augen brannte ein dunkles Feuer. »Vertrauen? Dir, Hannan Mosag? Meinen Brüdern? Mayen?« In blutverschmiertes Gold und verfilztes Bärenfell gehüllt, die

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