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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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die Vision eines überwucherten, aufgerissenen Hofs, der einen niedrigen Turm umgab, und sah voller Bewunderung und Ehrfurcht zu, wie eine einsame Gestalt einen tödlichen Tanz mitten zwischen fünf wütenden Toblakai-Göttern tanzte. Es war außergewöhnlich – eine Szene, die der Abtrünnige niemals vergessen würde. Doch er wusste, dass sie nicht mehr lange andauern konnte.
    Leider war das Gute nie von Dauer.
    Er blinzelte und sah, dass der Imperator der Edur seine Verwandten jetzt über die Brücke führte. Sie waren auf dem Weg zum Ewigen Domizil.
    Turudal Brizad setzte sich wieder in Bewegung.
    Das Ewige Domizil, ein Sammelpunkt von Bestimmungsorten für eine weitere Abfolge tragischer Ereignisse, die bald geschehen würden. Heute wird das Imperium wiedergeboren. In Gewalt und Blut wie bei allen Geburten. Und was werden wir finden, wenn dieser Tag vorbei ist? Was wird dann in unserem Schoß liegen und seine Augen in dieser Welt aufschlagen?
    Der Abtrünnige schritt weiter; er blieb vor den Tiste Edur, und tief in seinem Innern spürte er den torkelnden, stolpernden Rhythmus der Zeit, die zahllosen Herzschläge, die sich alle zu einem vereinigten – dieses Mal bestand kein Bedarf für einen Stups, ein Ziehen oder Stoßen. Dieses Mal bestand, wie es schien, überhaupt kein Bedarf für irgendetwas. Er würde ab jetzt nichts weiter als ein Zeuge sein.
    Hoffte er.
     
    Corlo Orothos, der einst – in den Tagen vor der Gründung des Imperiums – aus Unta gewesen und jetzt der einzige Hohemagier der Karmesingarde in dieser verfluchten Stadt war, hockte mit übereinander geschlagenen Beinen auf der Straße und legte den Kopf ein wenig schräg, als er die schweren, dröhnenden Schritte hörte, mit denen sich ihm jemand von hinten näherte. Er riskierte es, die Augen zu öffnen, und hob noch rechtzeitig eine Hand, um den Neuankömmling zum Stehenbleiben zu veranlassen.
    »Hallo Halbblut«, sagte er. »Bist du gekommen, um deinen Göttern zu huldigen?«
    Die riesige Gestalt schaute auf Corlo herunter. »Ist es zu spät?«, fragte sie.
    »Nein, sie sind noch am Leben. Nur ein einziger Mann stellt sich ihnen entgegen, und das nicht mehr lange. Ich tue, was ich kann, aber es ist nicht leicht, Götter zu verwirren.«
    Das Tarthenal-Halbblut runzelte die Stirn. »Weißt du, warum wir zu den Seregahl beten?«
    Was für eine merkwürdige Frage. »Um ihre Gunst zu erringen?«
    »Nein«, erwiderte Ublala. »Wir beten zu ihnen, damit sie wegbleiben. Und jetzt sind sie hier«, fügte er hinzu. »Das ist schlecht.«
    »Nun, was willst du dagegen tun?«
    Ublala schaute blinzelnd auf Corlo herab, sagte jedoch nichts.
    Nach einem kurzen Moment nickte der Hohemagier. »Dann geh.«
    Er schaute dem riesigen Mann hinterher, wie er auf den Torweg zustapfte. Kaum hatte er den Hof betreten, blieb er neben einem Baum stehen und brach einen Ast ab, der so dick wie einer von Corlos Oberschenkeln war. Er packte ihn mit beiden Händen und trabte weiter in den Hof.
     
    Er riss ihn in Stücke und versuchte, aus dem Käfig seines Skeletts auszubrechen, sich von den so schrecklich missbrauchten Muskeln zu befreien. Auf ihrem Weg quer durch Letheras hatten sie dreißig oder mehr tote Wechselgänger zurückgelassen. Und sechs Tiste Edur, die von den Docks heraufgekommen und wild auf einen Kampf gewesen waren.
    Sie waren verwundet worden – nein, korrigierte das Überbleibsel, das Udinaas war, ich bin verwundet worden. Ich müsste eigentlich tot sein. Ich wurde in Stücke gehauen. Gebissen, zerrissen, erstochen. Aber dieser verdammte Wyrm will nicht aufgeben. Er braucht mich immer noch … ein paar weitere Augenblicke lang.
    Durch einen roten Schleier kamen der alte Azath-Turm und der umgebende Hof in Sicht, und eine von dem Wyrm ausgehende Woge der Ungeduld floss durch ihn hindurch.
    Der Herr brauchte Hilfe. Noch war nicht alles verloren.
    Blitzschnell war Udinaas an dem merkwürdigen Mann vorbei, der mit überkreuzten Beinen auf der Straße saß – er bekam das überraschte Zusammenzucken des Mannes mit, als sie vorbeischossen. Einen Augenblick später stürmte er durch den Torweg.
    Und weiter in den Hof.
    Gerade rechtzeitig, um noch mitzubekommen, wie sich ein Sterblicher – ein Tarthenal-Halbblut – in einen Kampf stürzte, in dem ein einsamer Schwertkämpfer von den Toblakai-Göttern umzingelt und kurz davor war, unter einem Hagel von Hieben zu Boden zu gehen.
    Und dann war er an ihnen allen vorbei.
    Zum Hügelgrab des Herrn. Aufgewühlte,

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