SdG 09 - Gezeiten der Nacht
Kinder geworden. Aber du hast mich missverstanden. Ich habe nicht von meiner Freiheit gesprochen. Nur von deiner. Nicht von etwas, das wiedererlangt, sondern von etwas, das neu errungen wird.«
»Und wie willst du mich befreien, Udinaas?«
»Wir ziehen in den Krieg, Federhexe. Die Tiste Edur werden Krieg gegen Lether führen.«
Sie starrte ihn finster an. »Ja, und? Es hat auch früher schon Kriege gegeben –«
»Aber keinen wie diesen. Rhulad hat kein Interesse an Raubzügen. Dies wird ein Eroberungskrieg werden.«
»Sie wollen Lether erobern? Das werden sie nicht schaffen –«
»Mag sein. Doch ich will darauf hinaus, dass wir mit den Edur gehen werden, wenn sie gen Süden marschieren.«
»Warum bist du dir so sicher, was diese Dinge angeht? Diesen Krieg? Diese Eroberung?«
»Weil der Imperator die Schattengespenster beschworen hat. Alle.«
»So etwas kannst du gar nicht wissen.«
Er sagte nichts.
»Du kannst es nicht wissen«, beharrte Federhexe.
Dann wirbelte sie herum und rannte den Gang entlang davon.
Udinaas kehrte zu der Tür zurück. Um auf den Ruf zu warten, der, wie er wusste, irgendwann kommen würde.
Imperator und Sklave. Anderthalb Dutzend Schritte, tausende von Meilen. Wenn es um das schwer zu handhabende Paar aus Befehl und Gehorsam ging, spielten Entfernungen für den Geist keine Rolle. Denn der Pfad war gut ausgetreten – wie er es immer gewesen war und immer sein würde.
Die Gespenster versammelten sich in unruhigen Legionen in den umliegenden Wäldern; bei ihnen befanden sich außerdem gewaltige Dämonen – in Ketten gebunden, die eine höchst quälende Rüstung abgaben. Aus den Tiefen des Meeres stiegen Kreaturen an die Wasseroberfläche, um die vierhundert oder mehr K’orthan-Langboote zu halten, die jetzt bereitgemacht wurden, denn sie waren begierig, sie nach Süden zu tragen. Bei den Stämmen reagierten die Zauberer eines jeden Dorfes auf die Forderungen des neuen Imperators.
Auf seinen Aufruf, in den Krieg zu ziehen.
Über einen abgetretenen Teppich.
Auf dem Helden triumphierten.
Von jenseits der Tür ertönte Mayens Schrei.
Er tauchte aus dem Wald auf, mit bleichem Gesicht und gehetztem Blick, und blieb überrascht stehen, als er die aufbruchbereiten Wagen sah – und Buruk, der über die trödelnden Nerek fluchte. Seren Pedac hatte ihre lederne Rüstung angelegt und schnallte sich gerade den Schwertgürtel um.
Sie schaute ihm entgegen, als er näher kam.
»Es sind schlimme Dinge geschehen, Hull Beddict.«
»Ihr brecht auf?«
»Buruk hat es befohlen.«
»Was ist mit dem Eisen, das er verkaufen wollte?«
»Wir nehmen es wieder mit.« Sie schaute sich um und sagte dann: »Komm, geh ein paar Schritte mit mir. Ich muss ein letztes Mal mit dem Ersten Eunuchen reden.«
Hull nickte langsam. »Gut. Ich habe dir viel zu erzählen.«
Das Lächeln, das als Antwort auf ihrem Gesicht erschien, wirkte gequält. »Ich hatte die Absicht, das Gleiche zu tun.«
Sie machten sich zum Gästehaus in der Nähe der Zitadelle auf, schritten einmal mehr durch die ringförmig angelegten Bezirke der Stadt der Edur. Doch dieses Mal waren die Bürger, denen sie begegneten, stumm und ernst. Seren und Hull bewegten sich wie Geister zwischen ihnen.
»Ich habe die alten Stätten besucht«, sagte Hull. »Und Anzeichen von Umtriebigkeit gefunden.«
»Was für alte Stätten?«, fragte Seren.
»Nördlich der tiefen Spalte bedeckt der Wald eine Stadt – eine alte, einst riesige Stadt, die sich über viele Meilen erstreckt hat. Sie war überall gepflastert, und zwar mit einem Stein, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Er bricht nicht, und nur die Wurzeln haben es geschafft, die Platten beiseite zu schieben.«
»Warum sollte es an solchen Orten irgendwelche Umtriebe geben? Außer den üblichen Geistern und Gespenstern, heißt das?«
Hull blickte sie kurz an und schaute dann wieder weg. »Es gibt Stätten … an denen getötet wurde. Knochenhaufen, die sich längst in Stein verwandelt haben. Reste von Tiste-Skeletten. Und daneben liegen die Knochen von irgendwelchen reptilienartigen Tieren –«
»Ja, die habe ich gesehen«, sagte Seren. »Die Nerek sammeln sie und zermahlen sie zu einem Pulver, das ihre Heiler benutzen.«
»Genau. Freisprecherin, diese Stätten sind aufgeschreckt worden, und die Spuren, die ich gefunden habe, waren höchst beunruhigend. Ich glaube, es waren Drachenspuren.«
Sie starrte ihn ungläubig an. »Die Feste der Drachen ist seit Tausenden von Jahren nicht mehr
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