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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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das das Mitgefühl mit sich bringt.
    Einer der kreuz und quer über den Teppich verlaufenden, abgetretenen Pfade aus verblassten Farben führte genau zu ihr.
    Federhexe drückte sich eng zusammengekauert gegen die Wand; sie barg ihr Gesicht in den Händen und bebte am ganzen Körper.
    Noch ein bisschen mehr, und sie würde womöglich getötet werden. Rhulad war ein Mann, der mit dem Sterben immer vertrauter wurde. Er musste nicht daran erinnert werden, was es ihn und alle um ihn herum kostete. Und was noch schlimmer war  – er erlegte sich keinerlei Beschränkungen auf.
    Udinaas überlegte, ob er zu ihr hinübergehen sollte, und wenn auch nur, um ihr zu sagen, dass sie still sein sollte. Doch dann fiel sein Blick auf den zwischen ihnen liegenden Teppich mit seinen Bildern, und ihm wurde klar, dass die Entfernung zu groß war.
    Mayen hockte noch immer mit gesenktem Kopf breitbeinig auf Rhulad.
    »Noch einmal«, sagte der Imperator.
    Sie reckte sich, begann sich zu bewegen, und Udinaas konnte sehen, wie sie nach jenem Funken der Lust suchte. Und ihn fand.
    Das Gute wollend, sehnte man sich nach dem Schlechten. War es so einfach? War dieser wirre, widersprüchliche Wegweiser dem Denken von Männern und Frauen gleichsam universell eingeprägt? Udinaas kam zu dem Schluss, dass dies keine Frage schien, die der Beantwortung wert gewesen wäre. Er hatte bereits genug verloren.
    »Bring das Miststück zum Schweigen!«
    Der heisere Ausruf des Imperators ließ den Sklaven zusammenzucken.
    Das Weinen war lauter geworden, vermutlich als Reaktion auf Mayens hörbares Keuchen.
    Udinaas schob sich vorwärts, überquerte die Teppiche und ging dorthin, wo Federhexe in der Düsternis kauerte.
    »Schaff sie hier raus! Verschwindet! Verschwindet alle beide  – macht, dass ihr rauskommt!«
    Sie wehrte sich nicht, als Udinaas sie hochzog. Er beugte sich dicht zu ihr hin. »Komm schon, Federhexe«, sagte er leise. »Was hast du erwartet?«
    Ihr Kopf ruckte hoch, und er sah blanken Hass in ihren Augen. »Von dir?«, sagte sie zähnefletschend. »Nichts.«
    »Von ihr. Sag jetzt nichts – wir müssen gehen.«
    Er führte sie zur Seitentür und durch sie hindurch in den Korridor der Bediensteten, der dahinter lag. Er machte die Tür zu, zog sie ein halbes Dutzend Schritte den Gang entlang. »Es gibt keinen Grund zu weinen«, sagte Udinaas. »Mayen ist gefangen, genau wie wir, Federhexe. Du musst nicht betrübt darüber sein, dass sie nach Lust gesucht und sie gefunden hat.«
    »Ich weiß, was du vorhast, Schuldner«, sagte sie und wand ihren Arm aus seinem Griff. »Willst du das, ja? Dass ich mich ergebe? Dass ich Lust darin finde, wenn du mich benutzt?«
    »Ich bin, was du sagst, Federhexe. Ein Schuldner. Was ich will? Meine Wünsche sind bedeutungslos. Ich höre sie nicht mehr. Du glaubst, dass ich dir noch immer hinterherjage? Dass ich mich noch immer nach deiner Liebe sehne?« Er musterte ihr Gesicht, schüttelte schließlich den Kopf. »Du hattest Recht. Welchen Sinn sollte das haben?«
    »Ich will nichts mit dir zu tun haben, Udinaas.«
    »Ja, ich weiß. Aber du bist Mayens Zofe. Und ich werde, wie es aussieht, wohl Rhulads persönlicher Sklave werden. Der Imperator und die Imperatrix. Das ist die Wirklichkeit, der wir uns stellen müssen. Du und ich – nun, das ist eine schöne Vorstellung. Oder … es war eine. Doch was mich betrifft, ist das vorbei.«
    »Gut. Dann müssen wir uns nur insoweit miteinander abgeben, wie es unbedingt erforderlich’ ist.«
    Er nickte.
    Ihre Augen verengten sich. »Ich traue dir nicht.«
    »Das ist mir gleichgültig.«
    Er sah ihre Unsicherheit. Ihr Unbehagen. »Was spielst du für ein Spiel, Udinaas? Wer spricht durch deinen Mund?« Sie trat einen Schritt zurück. »Ich sollte es ihr sagen. Ich sollte ihr sagen, was sich in dir verbirgt.«
    »Wenn du das tust, Federhexe, wirst du deine einzige Chance zunichte machen.«
    »Meine einzige Chance? Was für eine Chance?«
    »Die Freiheit zu gewinnen.«
    Ihr Gesicht verzerrte sich. »Und damit willst du dir mein Schweigen erkaufen? Du bist ein Narr, Schuldner. Ich wurde als Sklavin geboren. Ich habe keine Erinnerungen wie die, die dich heimsuchen –«
    »Meine Erinnerungen? Federhexe, meine Erinnerungen an die Freiheit sind die Erinnerungen eines Schuldners, der in einem Königreich gefangen ist, in dem selbst der Tod keinen Schuldenerlass bietet. Meine Erinnerungen sind die gleichen wie die meines Vaters, und sie wären auch die Erinnerungen meiner

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