Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
Vom Netzwerk:
schaffte sie es nicht. Statt alle Sinne verloren zu haben, war sie sich mit schmerzhafter Deutlichkeit all der Gestalten um den kleinen Tisch herum bewusst, des wogenden Gedränges und der zahllosen Stimmen. Die Dummheit musste erst noch kommen, doch möglicherweise würde sie das nie tun, da eine unerschütterliche Nüchternheit sich ihrer bemächtigt hatte, verbissen und unbeweglich und gleichgültig gegenüber den scheinbar unzähligen Bechern Wein, die sie in sich hineinschüttete.
    Fiebrige Aufregung, unzählige Stimmen, die ihre jeweilige Variante von »Hab ich’s nicht gleich gesagt?« einer noch viel größeren Zahl nickender Köpfe verkündeten. Erklärungen und Vorhersagen, leuchtende Worte, beflügelt von der hemmungslosen, kaum noch im Zaum zu haltenden Gier, ein Schlachtfeld voller toter Edur zu plündern. Na klar, geben wir ihnen das Fort der Ersten Jungfrau, warum auch nicht? So locken wir die Scheißkerle immer näher heran. Hast du gesehen, was der Kader in jener Nacht gemacht hat? Sie werden es wieder tun, aber dieses Mal wird es sich direkt gegen die aschegesichtigen Scheißkerle richten. Ich habe einen Platz auf halber Höhe vom Lichthaus, hab ein Vermögen dafür bezahlt. Ich werde alles sehen.
    Vor Fenthing wird alles vorbei sein. Die Edur werden sich blutige Nasen holen, und gleichzeitig wird der Kader gegen ihre Flotte in der Katter-See losschlagen. Ich hab mir ’nen Anteil an einem Uferstreifen in der Bucht besorgt, und die Rechte, Wrackteile zu bergen. Ich werde hingehen, sobald es vorbei ist.
    Sie lassen sich umzingeln, das sage ich euch. Zwielicht wartet nur darauf, dass die Belagerung losgeht. Was? Du sagst, sie hat kapituliert? Hol uns der Abtrünnige, Mann, was für Lügen verbreitest du hier? Bist du auch so ein verdammter Verräter, so ein verdammter Hull Beddict? Halt bloß dein Maul, sonst sorge ich dafür, dass du es nie mehr aufmachst - Ich werd dir helfen, Cribal, versprochen. Lippen zunähen ist genauso leicht wie Segel flicken, und das habe ich schließlich jahrelang gemacht -
    Wo ist er hin?
    Ach, kümmere dich einfach nicht mehr um ihn, Cribal - Verrätern muss man eine Lektion erteilen, Feluda. Komm mit, ich sehe ihn … er ist auf dem Weg zur Tür - So allein rumzusitzen ist aber nichts für eine Frau wie Euch, mein Schatz. Kommt, lasst Euch von einem anständigen Mann hier wegbringen …
    Seren Pedac runzelte die Stirn, blickte zu der Gestalt auf, die über ihrem Tisch aufragte. Ihr Verstand antwortete: In Ordnung, während sie gleichzeitig ein finsteres Gesicht machte und wegschaute.
    »Nichts, was hier gesagt wird, ist auch nur die Spucke wert, Schätzchen. Ihr wollt trinken. Schön, setzt Euch hin und trinkt. Alles, was ich Euch angeboten habe, war ein ruhigerer Ort, um Euch zu betrinken.«
    »Geht weg.«
    Statt ihren Worten Folge zu leisten, setzte der Mann sich hin. »Ich hab Euch schon den ganzen Abend beobachtet. Ist das da einfach nur noch ’ne Letherii? Das habe ich mich wieder und wieder gefragt. Nein, habe ich gedacht, nein, die nicht. Also habe ich gefragt, und irgendjemand hat gesagt ›Das ist Seren Pedac, die Freisprecherin. Die war bei den Verhandlungen dabei, die schief gegangen sind. Sie hatte einen Kontrakt mit Buruk dem Bleichen – dem Kaufmann, der sich aufgehängt hat, und ich will verdammt sein, wenn sie es nicht war, die ihn gefunden hat, wie er so glotzäugig und stinkend an seinem Balken gehangen hat.‹ Und ich denke mir, das ist gewiss keine leichte Sache. Kein Wunder, dass sie dasitzt und versucht, sich zu betrinken, und dass das Ganze nicht funktioniert.«
    Sie richtete den Blick auf ihn und sah ihn zum ersten Mal klar und deutlich. Ein durchfurchtes Gesicht, glatt rasiert, schulterlange Haare in einem Farbton, der an poliertes Eisen erinnerte. Seine Stimme hallte in ihrem Schädel wider und bestätigte, was sie sah. »Ihr seid kein Letherii.«
    Ein breites Lächeln, das gleichmäßige, weiße Zähne enthüllte. »Da habt Ihr Recht, und – ohne Euch beleidigen zu wollen – ich bin froh darüber.«
    »Ihr seid kein Faraed. Auch kein Nerek und kein Tarthenal. Auch kein Fent, noch nicht mal ein Meckros –«
    »Von dem, was ich bin, habt Ihr noch nie gehört, Schätzchen, glaubt mir. Ich bin weit weg von zu Hause.«
    »Was wollt Ihr?«
    »Ich wollte Euch ein Angebot machen, aber das muss in Ruhe geschehen. Nicht in aller Öffentlichkeit –«
    »Ich bin mir sicher–«
    »So etwas habe ich nicht gemeint, obwohl ich annehmen würde, mein

Weitere Kostenlose Bücher