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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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etwas können wir nicht ausgehen. Wir haben nie genau gewusst, wie viele Edur dort oben im Norden leben.«
    »Atri-Preda, wir können Fenthing wochenlang halten. In der Zwischenzeit wird eine Ersatzarmee eintreffen, und dann können wir die grauhäutigen Bastarde zermalmen.«
    »Mein Magier-Kader in der Stadt«, sagte sie nach einem kurzen Moment, »besteht aus drei unzuverlässigen Zauberern, von denen der eine niemals nüchtern ist und die anderen beiden einander anscheinend aufgrund irgendwelcher früherer Kränkungen am liebsten umbringen würden. Finadd, könnt Ihr erkennen, wie dunkel das Meer unter jenen Schiffen ist? Trates Einwohner kennen dieses dunkle Wasser gut – und das, was sich darin verbirgt.«
    »Was wollt Ihr damit sagen, Atri-Preda?«
    »Dass Ihr unbedingt mitsamt Euren Soldaten mit uns zurückreiten sollt, Finadd. Oder Ihr bleibt hier und verkündet den ersten Truppen, die an Land gehen, Eure offizielle Kapitulation.«
    Der Mund des Mannes öffnete sich langsam.
    Zwielicht drehte sich um und ging zu der Treppe, die hinunter in den Hof führte. »Ich werde Fenthing übergeben, Finadd.«
    »Aber Atri-Preda! Wir könnten uns nach Trate zurückziehen! Alle!«
    Sie war erst drei Stufen hinabgestiegen und blieb kurz stehen. »Es ist eine dritte Flotte aufgetaucht, Finadd. In der Katter-See. Wir sind bereits abgeschnitten.«
    »Hol uns der Abtrünnige!«
    Zwielicht stieg weiter die Treppe hinunter, murmelte dabei leise vor sich hin. »Wenn er es nur könnte …«
    Die Zeit der Fragen war vorbei. Die Invasion hatte begonnen. Meine Stadt wird schon bald erobert werden. Wieder einmal.

Kapitel Fünf
     
    Der alte Abwassergraben war einst ein Fluss gewesen, lange bevor die Hütten abgerissen worden waren und die Oberherren angefangen hatten, ihre Häuser aus Stein zu bauen. Schutt und fauliger Schlick bildeten das vor Ungeziefer wimmelnde Ufer. Doch in meiner Brust loderte ein dunkles Feuer in stummem Zorn, während ich den Pfad entlangschritt, auf der Suche nach der verlorenen Stimme, der Stimme des befreit dahinfließenden Wassers, der Kiesel unter geschäftiger Zunge. Oh, ich kannte diese glatten Steine so gut, den kindlichen Schatz der Tröstlichkeit und die Art, wie – wenn er getrocknet war – eine einzelne Träne, ein Regentropfen, die Farbe der wiedergefundenen Erinnerung an seine Heimat erblühen lassen konnte – der Schatz dieses Kindes, und dieses Kind war ich, und der Schatz war meiner, und mein eigenes Kind entdeckte ich an ebendiesem Morgen, wie es verschmiert am fauligen Ufer kniete und mit Scherben von zerbrochenen Töpfen spielte, die nur verschiedene Grautöne kannten, ganz egal, wie viele Tränen auch flossen.
     
    Bevor es Trate gab
    Ein namenloser Fent
     
    T
    räume konnten binnen eines Wimpernschlags vorbei sein, was dazu führte, dass man wild um sich blickte, unter Orientierungslosigkeit und einer Sturzflut von einander widersprechenden Gefühlen litt. Udinaas stellte fest, dass er ein Stück nach unten gerutscht war und bedenklich nah an der Kante hockte, und dass seine Beine steif waren und schmerzten. Die Sonne stand etwas tiefer, aber nicht viel. Hinter ihm erhob sich Federhexe, die eng zusammengekauert dagehockt hatte; die beiden Hälften einer zerbrochenen Fliese fielen ihr aus der Hand und zerbarsten auf dem Fels, schlitterten dann seitlich ins Unterholz und Geröll davon. Ihre Haare hingen ihr vors Gesicht und verbargen alles, was dort geschrieben stand.
    Udinaas wollte schreien, seinem Kummer und der darunter liegenden Wut freien Lauf lassen. Doch was war so neu daran, benutzt zu werden? Was war so neu daran, nichts zu haben, wonach man greifen konnte, nichts, wonach man streben konnte? Er schob sich von der bröckeligen Kante weg und schaute sich um.
    Die Armee war auf dem Marsch. Etwas hatte sich geändert. Er sah Eile dort unten. »Wir müssen zurück«, sagte er.
    »Wohin?« Ihre Stimme klang rau und bitter.
    »Dorthin, wo wir zuvor waren.«
    »Als Sklaven, Udinaas.«
    »Ja.«
    »Ich habe sie jetzt geschmeckt. Ich habe sie geschmeckt!«
    Er warf ihr einen Blick zu, schaute zu, wie sie sich aufrechter hinsetzte, sich die Haare aus den Augen strich und ihn wütend anstarrte. »Du kannst so nicht leben.«
    »Kann ich nicht?«
    Sie sah weg. Sie wollte nicht sehen, vermutete er. Wollte nicht verstehen.
    »Wir marschieren nach Trate, Federhexe.«
    »Um zu erobern. Um zu … versklaven.«
    »Kleinigkeiten«, murmelte er, während er vorsichtig aufstand. Er bot ihr eine

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