SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
wie Teer. Die Kreise waren zu vollkommen, um natürlichen Ursprungs zu sein, obwohl es außer dieser Tatsache keinen Hinweis darauf gab, in welcher Absicht sie angelegt worden waren oder welchem Zweck sie dienten. An diesen Orten war die Macht des Schattens stark, wie Telorast gesagte hatte.
Tiste Edur, Kurald Emurlahn – ihre Präsenz verweilte noch an diesem Ort, aber nur auf die gleiche Weise, wie Erinnerungen an Friedhöfen, Gräbern und Grabhügeln hängen. Alte Träume, verwirrt und im Gras, im Geflecht des Waldes und dem kristallinen Gitterwerk der Steine allmählich verblassend. Ein verlorenes Flüstern im Wind, der immer über solche todesbeladenen Orte wanderte. Die Edur waren fort, doch ihr Wald hatte sie nicht vergessen.
Eine Dunkelheit voraus, etwas, das vom Laubdach herunterkam, gerade und dünn. Ein Seil, so dick wie ihr Handgelenk, und ein Anker, der auf dem von Fichtennadeln übersäten Humusboden ruhte.
Genau in ihrem Weg. Sieh an, genau wie ich eine Präsenz gespürt habe, hat diese Präsenz mich gespürt. Ich glaube, das hier ist eine Einladung.
Sie trat an das Seil heran, packte es mit beiden Händen und begann hochzuklettern.
»Was tust du da?«, zischte Telorast unter ihr. »Nein, ein gefährlicher Eindringling! Ein schrecklicher, Entsetzen verbreitender, entsetzlicher Fremder mit grausamem Gesicht! Geh nicht da hoch! Oh, Rinnsel, sie nur, sie klettert hoch!«
»Sie hört nicht auf uns!«
»Wir haben zu viel geredet, das ist das Problem.«
»Du hast recht. Wir sollten etwas Wichtiges sagen, so dass sie wieder auf uns hört.«
»Gute Idee, Rinnsel. Denk dir etwas aus!«
»Ich versuche es!«
Ihre Stimmen verklangen, als Apsalar immer höher kletterte. Sie war jetzt von dicht benadelten Ästen umgeben, zwischen denen sich alte Spinnennetze spannten und kleine, glänzende Gestalten herumhuschten. Das Leder ihrer Handschuhe fühlte sich heiß an, und ihre Waden begannen zu schmerzen. Sie erreichte den ersten einer Reihe von Knoten, und nachdem sie ihre Füße darauf gestellt hatte, machte sie eine Pause und ruhte sich aus. Als sie nach unten blickte, sah sie nichts als schwarze Stämme, die im Nebel verschwanden, wie die Beine eines riesigen Tiers. Nach einigen Augenblicken kletterte sie weiter. Jetzt stieß sie etwa alle zehn Armlängen auf weitere Knoten. Da war jemand aufmerksam gewesen.
Der ebenholzschwarze Rumpf der Karacke dräute über ihr, von Entenmuscheln überkrustet und glänzend. Als sie ihn erreichte, stemmte sie ihre Stiefel gegen die dunklen Holzplanken und kletterte die letzten beiden Mannshöhen weiter bis zu der Stelle, wo das Ankertau in einem Schacht in der Bordwand verschwand. Sie kletterte über die Reling und fand sich unweit der drei Stufen wieder, die zum Achterdeck hinaufführten. Dünne, schwach leuchtende Nebelfetzen kennzeichneten die Stellen, an denen Sterbliche standen oder saßen: da und dort, in der Nähe der Takelage, am seitlich befestigten Steuerruder; einer hockte hoch oben in den Wanten. Eine deutlich stofflichere, festere Gestalt stand vor dem Hauptmast.
Sie wirkte vertraut. Apsalar kramte in ihren Erinnerungen, und ihre Gedanken jagten einen falschen Weg nach dem anderen entlang. Vertraut … und doch nicht vertraut.
Mit einem leichten Lächeln in seinem glattrasierten, ansehnlichen Gesicht, trat er vor und hob die Hände. »Ich weiß nicht genau, welchen Namen du nun benutzt. Du warst kaum mehr als ein Kind – ist es tatsächlich erst ein paar Jahre her? Schwer zu glauben.«
Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust, und sie wunderte sich über das Gefühl in ihrem Innern. Angst? Ja, aber noch mehr als das. Schuld. Scham. Sie räusperte sich. »Ich nenne mich jetzt Apsalar.«
Ein kurzes Nicken. Erkenntnis, und dann änderte sich sein Gesichtsausdruck langsam. »Du erinnerst dich nicht an mich, stimmt’s?«
»Ja. Nein, ich bin mir nicht sicher. Ich sollte mich an Euch erinnern – so viel zumindest weiß ich.«
»Es waren schwierige Zeiten, damals«, sagte er und ließ die Arme fallen, aber langsam, als wäre er unsicher, wie sie seine nächsten Worte auffassen würde. »Ganoes Paran.«
Sie zog ihre Handschuhe aus, getrieben von dem Bedürfnis, irgendetwas zu tun, und strich sich mit dem Rücken der rechten Hand über die Stirn – und war entsetzt, als sie feststellte, dass sie feucht war; der Schweiß bildete Tropfen, die an ihrer Hand hinabrannen, und fühlte sich plötzlich kalt auf ihrer Haut an. »Was macht Ihr hier?«
»Das Gleiche
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