SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
einfach nur wild darauf, über deinen verrottenden Leichnam zu wachen, Nicht-Apsalar, das haben wir versprochen. Ich verstehe nicht, warum ich so verwirrt bin. Schließlich musst du irgendwann mal sterben. Das ist klar. Es ist das, was Sterblichen geschieht, und du bist sterblich, oder? Du musst es sein, denn du hast drei Tage lang geblutet – wir können es riechen.«
»Du Närrin!«, zischte Rinnsel. »Natürlich ist sie sterblich, und außerdem waren wir einst selbst Frauen, erinnerst du dich? Sie blutet, weil es das ist, was passiert. Nicht immer, aber manchmal. Regelmäßig. Oder nicht. Außer kurz bevor sie Eier legt, was bedeuten würde, dass ein Männchen sie gefunden hätte, was bedeuten würde …«
»Dass sie eine Schlange ist?«, fragte Telorast belustigt.
»Aber sie ist keine. Was glaubst du denn, Telorast?«
Das Licht der Sonne verblasste, das Wasser in der Meerenge schimmerte rot. Ein einsames Segel, das zu der Karacke eines Händlers gehörte, bewegte sich gen Süden, in die Ehrlitan-See. »Das Gewirr fühlt sich hier stark an«, sagte Apsalar.
»Oh, ja«, sagte Telorast, deren knochiger Schwanz Apsalars linken Knöchel liebkoste. »Es ist hier deutlich spürbar. Dieses Meer ist neu.«
»Das ist möglich«, erwiderte sie, während sie die zerklüfteten Klippen betrachtete, die das Ufer der Meerenge bildeten. »Gibt es Ruinen auf dem Meeresgrund?«
»Woher sollten wir das wissen? Vermutlich. Wahrscheinlich, bestimmt. Ruinen. Große Städte. Schattentempel.«
Apsalar runzelte die Stirn. »In der Zeit des Ersten Imperiums hat es keine Schattentempel gegeben.«
Rinnsel ließ den Kopf sinken, reckte ihn dann plötzlich wieder in die Höhe. »Dessimbelackis, Fluch auf seine Vielzahl von Seelen! Wir sprechen von der Zeit der Wälder. Der großen Wälder, die dieses Land bedeckt haben, lange bevor es das Erste Imperium gegeben hat. Sogar lange bevor es die T’lan Imass –«
»Schsch!«, zischte Telorast. »Wälder? Wahnsinn! Kein Baum in Sicht, und diejenigen, die sich vor den Schatten gefürchtet haben, haben niemals existiert. Warum hätten sie sie dann verehren sollen? Sie haben es nicht getan, weil sie nie existiert haben. Diese Schattenmacht ist eine natürliche Kraft. Es ist eine Tatsache, dass die erste Anbetung aus Furcht stattgefunden hat. Das schreckliche, unbekannte –«
»Wird noch viel schrecklicher«, wurde sie von Rinnsel unterbrochen, »wenn es bekannt wird! Würdest du das nicht auch sagen, Telorast?«
»Nein, das würde ich nicht. Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Du hast zu viele Geheimnisse ausgeplaudert, von denen jedenfalls kein einziges wahr ist. Schau! Eine Eidechse! Sie gehört mir!«
»Nein, mir!«
Die beiden Skelette hasteten über den felsigen Sims. Etwas Kleines, Graues schoss davon.
Ein Wind kam auf, kräuselte die Wasseroberfläche und trug den ursprünglichen Geruch des Meeres zu den Klippen, auf denen sie stand. Ausgedehnte Gewässer zu überqueren, war selbst mittels eines Gewirrs nie besonders erfreulich. Jedes Schwanken ihrer Kontrolle konnte sie aus der Sphäre schleudern, woraufhin sie sich viele Meilen vom Land entfernt in einem Gewässer wiederfinden würde, in dem es von Dhenrabi wimmelte. Was den sicheren Tod bedeuten würde.
Sie könnte natürlich auch den Landweg nehmen. Von Ehrlitan aus nach Süden, nach Pan’potsun, dann die neue Raraku-See in westlicher Richtung umgehen. Aber sie wusste, dass ihr die Zeit davonlief. Cotillion und Schattenthron wollten, dass sie sich um ein paar unbedeutende Spieler kümmerte, die hier und da verstreut im Landesinnern lebten, aber etwas in ihr spürte, dass sich irgendwo weit entfernt die Dinge beschleunigt hatten, und dieses Gefühl weckte in ihr das wachsende Bedürfnis – eine verzweifelte Beharrlichkeit ohne Verzögerung dorthin zu gelangen. Um ihren Dolch zu werfen und dadurch einen ganzen Haufen Schicksale zu beeinflussen, so gut sie konnte.
Sie ging davon aus, dass Cotillion dies alles verstehen würde. Dass er ihren Instinkten trauen würde, selbst wenn sie sie nicht in letzter Konsequenz erklären konnte.
Sie musste … sich beeilen.
Ein Augenblick der Konzentration – und die Szenerie vor ihr verwandelte sich. Die Klippen waren jetzt ein Hang, übersät von umgestürzten Bäumen – Fichten und Zedern –, deren Wurzeln aus der dunklen Erde gerissen und deren Stämme abgeflacht waren, als wäre die ganze Seite des Hügels von einem unvorstellbar starken Windstoß getroffen worden. Und dort, wo
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