SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
Wanderungen irgendwie kontrollieren. Noch merkwürdiger war, dass es ganz eindeutig so etwas wie Straßen gab, die von dem Fragment ausgingen, sich krümmten und weite Entfernungen überbrückten – wie Wurzeln oder Tentakel –, und die sich manchmal unabhängig von dem größeren Fragment bewegten.
Wie bei dem Auswuchs, den sie jetzt benutzten, und der mehr oder weniger der östlichen Straße folgte, die aus Ehrlitan herausführte, entlang des schmalen Streifens aus Zedern, hinter dem sich zu ihrer Linken das Meer befand. Als die Handelsstraße nach Norden abbog, auf die Küstenlinie zu, vereinigte sich die Schattenstraße mit ihr, wurde schmaler, bis sie kaum noch so breit war wie die eigentliche Straße.
Ohne auf das unablässige Geschwätz der beiden Geister zu achten, die hinter ihr herhuschten, marschierte Apsalar immer weiter, kämpfte gegen den Schlafmangel an; sie wollte ein möglichst großes Stück hinter sich gebracht haben, ehe die Sonne aufging. Die Schattenstraße entglitt allmählich ihrer Kontrolle, sie verschwand jedes Mal, wenn ihre Konzentration auch nur einen Augenblick nachließ. Schließlich machte Apsalar Halt.
Das Gewirr um sie herum zerbröckelte. Im Osten wurde der Himmel heller. Sie standen auf der Handelsstraße, die direkt vor ihnen in Windungen zu der Hügelkette anzusteigen begann, die sich die Küste entlangzog. Rhizan schossen um sie herum durch die Luft.
»Die Sonne kehrt zurück! Nicht schon wieder! Telorast, wir müssen uns verstecken! Irgendwo!«
»Nein, das müssen wir nicht, du Idiotin. Wir sind einfach nur schlechter zu erkennen, das ist alles, es sei denn, du bist unachtsam. Natürlich bist du nicht in der Lage, achtsam zu sein, und daher warte ich nur darauf, dass du dich wimmernd auflöst. Endlich Friede. Zumindest für einige Zeit –«
»Du bist böse, Telorast! Ich habe es schon immer gewusst, sogar schon bevor du hingegangen bist und das Messer benutzt hast, um –«
»Sei still! Ich habe das Messer niemals benutzt, um irgendjemandem etwas zu tun.«
»Und du bist eine Lügnerin!«
»Wenn du das noch einmal sagst, steche ich dich ab!«
»Das kannst du nicht! Ich löse mich auf!«
Apsalar wischte sich mit einer Hand über die Stirn. Der Handrücken wurde schweißnass. »Dieser Schattenstrang hat sich irgendwie … falsch angefühlt«, sagte sie.
»Oh, ja«, erwiderte Telorast und glitt um sie herum, kauerte sich als durcheinanderwirbelnder grauer Fleck vor sie. »Er ist krank. Alle äußeren Auswüchse sind krank. Vergiftet, vom Chaos angefault. Wir geben Schattenthron die Schuld.«
»Schattenthron? Warum?«
»Warum denn nicht? Wir hassen ihn.«
»Und das reicht als Grund?«
»Das ist der ausreichendste Grund von allen.«
Apsalar betrachtete den ansteigenden Weg. »Ich glaube, es ist nicht mehr weit.«
»Gut. Hervorragend. Ich habe Angst. Lass uns hier aufhören. Lass uns jetzt zurückgehen.«
Apsalar trat durch den Geist hindurch und begann mit dem Aufstieg.
»Das war gemein«, zischte Telorast hinter ihr. »Wenn ich von dir Besitz ergriffen hätte, würde ich mir das nicht antun. Noch nicht einmal Rinnsel. Nein, das würde ich nicht. Nun, vielleicht, wenn ich verrückt wäre. Du bist nicht böse auf mich, oder? Bitte sei nicht böse auf mich. Ich werde alles tun, was du verlangst, bis du tot bist. Dann werde ich auf deinem stinkenden, aufgeblähten Leichnam tanzen, denn das willst du doch, dass ich das tue, oder? Ich würde es tun, wenn ich du wäre und du tot wärst und ich lange genug verharren würde, um auf dir herumtanzen zu können, was ich tun würde.«
Als Apsalar den Kamm erreichte, sah sie, dass der Weg etwa zweihundert Schritt hier oben verlief, ehe er sich wieder die wind- abgewandte Seite hinunterwand. Der kühle Morgendwind, der den Schweiß auf ihrem Gesicht trocknete, kam seufzend von jenem großen, dunklen Kap zu ihrer Linken, wo das Meer war. Sie blickte nach unten und sah einen schmalen Strand, vielleicht fünfzehn Mannslängen unter ihr, auf dem Treibholz herumlag. Entlang des Weges zu ihrer Rechten, ziemlich nah am hinteren Ende, war eine Nische in der Klippe, und dort befand sich ein kleines Gehölz aus verkrüppelten Bäumen. Mitten in dem Gehölz stand ein Steinturm. Er war größtenteils weiß vergipst, nur im oberen Drittel waren die grob behauenen Steine noch zu sehen.
Sie ging auf den Turm zu, als die ersten Speere aus Sonnenlicht über den Horizont schossen.
Unmengen von Schieferstücken lagen in Häufchen und Haufen
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