SdG 11 - Die Kochenjäger
Kummer zitterte. »Wie lange ist es her?«, fragte sie Karsa.
Der Teblor zuckte die Schultern. »Das spielt keine Rolle. Sie sind nah.«
Sie richtete sich beunruhigt auf. »Wie nah?«
»Sie haben ein Lager aufgeschlagen, und sie gehen sorglos mit ihren Abfällen um.« Er zog sein Steinschwert. »Sie haben noch mehr Gefangene.«
»Woher weißt du das?«
»Ich rieche ihr Leiden.«
Das ist nicht möglich. Ist so etwas möglich? Sie sah sich um, suchte nach offensichtlicheren Hinweisen auf all das, was der Toblakai zu wissen behauptete. Zu ihrer Rechten befand sich eine torfgehüllte Senke, ein bisschen unterhalb des auf dem Grundgestein verlaufenden Pfades, auf dem sie standen. Schwarzfichten mit grauen Stämmen wuchsen darin, die sich auf diese und auf jene Seite neigten; die meisten ihrer Zweige hatten keine Nadeln mehr. Die glänzenden Fäden von Spinnennetzen spannten sich zwischen ihnen, wie Kratzer auf durchsichtigem Glas. Zu ihrer Linken bedeckten flache Wacholderbüsche eine Bodenfalte im Grundgestein, die parallel zu ihrem Pfad verlief. Samar runzelte die Stirn.
»Welche Deckung?«, fragte sie. »Du hast gesagt, der Mörder ist aus der Deckung getreten, um dem Anibar den Speer in den Rücken zu stoßen. Aber hier gibt es keine Deckung, Karsa.«
»Keine, die noch da wäre«, sagte er.
Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich zu einer finsteren Miene. »Dann sind sie wohl in Zweige und Blätter eingehüllt, ja?«
»Es gibt andere Möglichkeiten, sich zu verstecken, Frau.«
»Und zwar?«
Karsa schüttelte seinen Fellumhang ab. »Zauberei«, sagte er. »Wartet hier.«
Das hättest du wohl gerne, beim Vermummten. Sie folgte Karsa, der sich – das Schwert beidhändig vor der Brust haltend – mit gleitenden, fast schon rennenden Bewegungen vorwärtsbewegte. Vier Schritte weiter, und sie musste wirklich rennen, um mit ihm Schritt zu halten.
Der lautlose Trab wurde rascher. Wurde blitzschnell.
Keuchend rannte sie hinter dem riesigen Krieger her, hatte ihn aber bereits aus den Augen verloren.
Als Samar plötzlich linker Hand einen Schrei hörte, kam sie schlitternd zum Stehen. Karsa hatte den Pfad an einer Stelle, die schon irgendwo hinter ihr lag, verlassen und war in den Wald gestürmt, über ein Durcheinander aus moosbewachsenen, glitschigen Felsblöcken, umgestürzten Bäumen, Unmengen von toten Ästen – ohne dabei irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Noch mehr Schreie.
Mit wild hämmerndem Herzen drang Samar in das Wäldchen ein, drückte Unterholz beiseite; Spinnennetze zupften an ihr, ehe sie rissen, Staub und Rindenstückchen rieselten auf sie herunter - während das Gemetzel irgendwo vor ihr weiterging.
Waffen prallten aufeinander, Eisen gegen Stein. Das Krachen von zersplittertem Holz - verschwommene Bewegungen zwischen den Bäumen vor ihr, rennende Gestalten – ein Körper, der in einem Nebel aus Rot sich überschlagend durch die Luft flog – sie erreichte den Rand des Lagers -
Und sah Karsa Orlong – sowie ein halbes Hundert, vielleicht auch mehr, große, grauhäutige Krieger, die Speere, Säbel, Langmesser und Äxte schwangen und auf Karsa eindrangen.
Der Weg, den Karsa in ihre Mitte genommen hatte, glich einem grässlichen Korridor aus Leichen und zu Boden gestürzten, tödlich verwundeten Gegnern.
Aber es waren zu viele -
Urplötzlich geriet das riesige Feuersteinschwert in Sicht, umgeben von einem Hagel aus Knochenstücken und dicken, peitschenden Blutfontänen, als Karsa eine weite, aufwärtsschwingende Bewegung vollendete. Zwei Gestalten taumelten rückwärts, und eine dritte war so hart getroffen worden, dass ihre in Mokassins steckenden Füße bis auf Karsas Augenhöhe geschleudert wurden und im Fallen die Speerschäfte zweier weiterer Krieger mitrissen – und in die sich bietende Öffnung stürmte nun der Toblakai, wich einem halben Dutzend Stößen und Hieben aus, die meist erst hinter ihm niedergingen, denn die Geschwindigkeit des Riesen war außergewöhnlich – nein, mehr noch, sie war entsetzlich.
Die beiden Gegner, deren Waffen sich verhakt hatten, versuchten sich nach hinten zu werfen, um aus Karsas Reichweite zu gelangen – aber sein Schwert zuckte vor und traf den linken Krieger am Hals – der Kopf flog davon –, dann glitt die Klinge nach unten, hackte sauber durch die rechte Schulter des anderen Kriegers und trennte ihm den Arm ab.
Karsa löste die linke Hand vom Griff seines Schwerts, packte den Schaft eines auf ihn zustoßenden Speers, zog die Waffe und ihren
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