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SdG 11 - Die Kochenjäger

SdG 11 - Die Kochenjäger

Titel: SdG 11 - Die Kochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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«
    »Nenn mich nicht so.«
    »Auch das ist in deinem Innern – dieser Widerstand gegen die Wahrheit. Ja, es ist eine grausame Wahrheit, aber nur ein Feigling würde ihr nicht ins Auge sehen, sondern sich abwenden und hinter einer Lüge verstecken, die mehr Trost verspricht. Diese Art von Feigheit ist unter deiner Würde.«
    »Vielleicht auch nicht, Taralack Veed. Ich glaube, dass ich tatsächlich ein Feigling bin. Und doch wäre das nur das geringste meiner Verbrechen. Denn wenn alles wahr ist, was du über mich erzählst – «
    »Zweifelst du an meinen Worten?«
    »In mir ist kein Hunger«, sagte der Jhag. »Keine Lust zu töten. Und alles, was du mir zur Last legst, alles, was ich deinen Worten zufolge getan haben soll – ich erinnere mich an nichts davon.«
    »Das liegt in der Natur deines Fluchs, mein Freund. Ich wollte, ich könnte hier und jetzt bekennen, dass ich dich getäuscht habe. Es hat Veränderungen in meiner Seele gegeben, und jetzt fühle ich mich, als ob wir gefangen wären – als ob wir zu unserem Schicksal verdammt wären. Ich habe dich inzwischen näher kennengelernt, Icarium, kenne dich jetzt besser als je zuvor, und ich trauere um dich.«
    Die blassgrauen Augen richteten sich auf ihn. »Du hast mir erzählt, dass wir sehr lange zusammen gereist sind, dass wir diese Reisen des Geistes schon zuvor gemacht haben. Und du warst voll grimmiger Inbrunst hinsichtlich deines Wunsches, mich … entfesselt zu sehen. Taralack Veed, wenn wir tatsächlich viele Jahre lang zusammen waren … dann ergibt das, was du jetzt sagst, keinen Sinn.«
    Der Gral spürte, wie ihm am ganzen Körper der Schweiß ausbrach, und er wandte sich ab.
    »Du behauptest, Ahlrada Ahn wäre derjenige unter uns, der sich der Täuschung bedient. Vielleicht muss man ein Betrüger sein, um seine Verwandten zu erkennen.«
    »Das sind sehr unfreundliche Worte, mein Freund – «
    »Ich glaube nicht mehr, dass wir Freunde sind. Ich habe inzwischen den Verdacht, dass du mein Hüter bist, und dass ich kaum mehr als deine Waffe bin. Und jetzt sprichst du Worte, mit denen du die Schärfe dieser Waffe anzweifelst, als könnte unsere jeweilige Unsicherheit dafür sorgen, dass wir aufeinander zugehen. Aber ich werde keinen Schritt auf dich zugehen, Taralack Veed. Ich werde nur einen Schritt zurücktreten – weg von dir.«
    Dieser Scheißkerl. Er hat so getan, als wäre er blind für alles. Doch die ganze Zeit hat er zugehört, hat er alles beobachtet. Und jetzt nähert er sich der Wahrheit. Die Waffe ist schlau – ich war unachtsam, habe ihn dazu ermutigt, abweisend zu sein, und wenn meine Worte selbst Waffen waren, habe ich vergessen, dass dieser Jhag sich zu verteidigen weiß, dass er eine Rüstung aus der Erfahrung von Jahrhunderten trägt.
    Er blickte auf, als Ahlrada Ahn auf seinem Weg zurück zur Spitze der Kolonne wieder an ihnen vorbeischritt. »Bald«, erinnerte der Krieger sie.
    Die Reise ging weiter.
     
    Hauptmann Varat Taun, der Stellvertreter von Atri-Preda Yan Tovis – die gemeinhin nur Zwielicht genannt wurde –, winkte seine letheriischen Bogenschützen vorwärts. Er spuckte aus, um den Geschmack von Schlamm in seinem Mund loszuwerden, aber es war hoffnungslos. Die Zauberei der Festen war an diesem Ort in blitzenden Wogen der Vernichtung entfesselt worden – die Luft stank danach, im Wind konnte er die Echos der Rufe von zehntausend sterbenden Soldaten hören, und der Schlamm auf seiner Zunge war aus pulverisiertem Fleisch und knirschenden Knochenstückchen.
    Und doch war all dies vielleicht auch eine Art Geschenk – etwas, das die Verhältnisse zurechtrückte. Denn so grimmig das Imperium der Letherii auch unter der Herrschaft der Edur geworden war, so gab es dort doch immer noch grüne Hügel, Bauernhöfe und einen blauen Himmel. Kinder wurden Müttern geboren, und Freudentränen rannen leicht über warme, weiche Wangen, während Augen liebevoll leuchteten … Oh geliebte Frau, diese Erinnerungen an dich sind das Einzige, was mich zusammenhält, das Einzige, was mich vor dem Wahnsinn bewahrt. Du und unsere kostbare Tochter. Ich werde euch beide wiedersehen. Das verspreche ich. Vielleicht schon bald.
    Ahlrada Ahn befand sich einmal mehr an der Spitze der Marschkolonne. Der arme Kerl. Der Schnitt seines Gesichts verriet ihn nur allzu rasch … wenn man – wie Varat Taun – ein Soldat aus Blaurose war. Ein Betrüger – doch welche Gründe hatte er für so eine Täuschung? Vielleicht geht es einfach nur ums Überleben.

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