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SdG 11 - Die Kochenjäger

SdG 11 - Die Kochenjäger

Titel: SdG 11 - Die Kochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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sah. Buchstaben wie winzige Bilder, Buchstaben, die diagonal oder senkrecht aneinandergereiht waren oder in einer Spirale; manche Buchstaben waren kaum mehr als Muster aus kleinen Pünktchen.
    Sie stammten aus anderen Sphären, behauptete Bridthok beharrlich. Die weltlicheren Münzen fanden sich im östlichen Zimmer hinter dem Altar – ein ganzer Raum, in dem die verdammten Dinger haufenweise herumlagen. Der Schatz eines Imperiums allein schon in jenem Zimmer, hatte er erklärt, und vielleicht hatte er recht. Mit dem ersten Gerücht vom Auftreten der Pest füllten sich Poliels Schatztruhen bis zum Überlaufen. Aber es waren die fremden Münzen, die den alten Mann am meisten interessierten. Es war mittlerweile eine Besessenheit geworden, diese Katalogisierung der Sphären, die seine Gelehrsamkeit zu ihrer höchsten und letzten Blüte treiben würde, wie er behauptete.
    Ein merkwürdiger Gegensatz, diese wissenschaftliche Neigung in einem Mann, für den Ehrgeiz und das Verlangen nach Macht alles zu sein schienen – der Grund, warum er atmete, der Käfig, in dem sein mörderisches Herz pochte.
    Er hatte mehr Gerüchte über seinen Tod gestreut als jeder andere Mensch, den sie jemals gekannt hatte, so etwa jedes Jahr ein neues, um die vielen Jäger von seiner Spur abzubringen, wie er sagte. Sie hatte den Verdacht, dass es ihm einfach Spaß machte, ständig neue zu erfinden. Von den Narren – ihren Mitverschwörern –, die hier versammelt waren, war Bridthok vielleicht der faszinierendste. Weder Septhune Anabhin noch Sradal Purthu ermutigten sie, ihnen Vertrauen oder Respekt entgegenzubringen. Und Sribin, nun, Sribin war mittlerweile nicht einmal mehr zu erkennen.
    Das war – wie es schien – das Schicksal derjenigen, die die Graue Göttin als sterbliche Liebhaber erwählte. Und wenn sie des verfaulten, stöhnenden Dinges, das einmal Sribin gewesen war, müde werden würde, würde sich die Hexe jemand anderen suchen. Aus ihrem abnehmenden Vorrat von schrecklicher Angst erfüllter Gefangener. Ob Mann oder Frau, Erwachsener oder Kind – für Poliel spielte das keine Rolle.
    Bridthok behauptete beharrlich, dass der Kult von Sha’ik wiedergeboren war, dass er weit – sehr weit – über das hinausgehend, was er vorher gewesen war, wiederbelebt worden war. Irgendwo da draußen war die Stadt der Gefallenen – und eine neue Sha’ik; und die Graue Göttin sammelte für sie eine gebrochene Legion der Verrückten, für die all das, was sterblich war, zu Elend und Kummer gehörte, den Nachkömmlingen, den Zwillingen, die Poliels Bauch entsprungen waren. Und hinter grauen Schwaden aus Krankheit und Chaos – durch die Entfernung nur nebelhaft wahrnehmbar – lauerte der Verkrüppelte Gott sich windend und gackernd in seinen Ketten, während er dieses üble Bündnis immer enger zog.
    Was wusste Torahaval schon von Kriegen unter den Göttern? Sie machte sich – über die tödlichen Auswirkungen in ihrer eigenen Welt hinaus – noch nicht einmal etwas aus ihrem eigenen Leben.
    Ihr jüngerer Bruder war vor langer Zeit dem einen Weg anheim gefallen, sie einem anderen, und jetzt war jegliche Hoffnung auf ein Entkommen dahin.
    Bridthoks Gemurmel endete unvermittelt in einem plötzlichen Keuchen. Er zuckte auf seinem Stuhl zusammen, hob den Kopf. Seine Augen weiteten sich.
    Ein Beben durchlief Torahaval Delat. »Was ist los?«, wollte sie wissen.
    Der alte Mann stand von seinem Platz hinter dem Tisch auf. »Sie ruft uns zu sich.«
    Ich muss ebenfalls verrückt sein – was gibt es noch im Leben, das man lieben kann? Warum klammere ich mich immer noch an die Kante, wenn der Abgrund all das bietet, wonach ich mich jetzt sehne. Vergessen. Ein Ende. Bei den Göttern … ein Ende. »Es muss mehr als das sein, Bridthok«, sagte sie. »Du siehst … bestürzt aus.«
    Ohne etwas zu sagen oder sie anzusehen, ging er hinaus in den Korridor. Leise vor sich hin fluchend folgte Torahaval ihm.
    Einst, vor langer Zeit, war ihr Bruder – damals konnte er noch nicht mehr als vier, vielleicht auch fünf Jahre alt gewesen sein, lange bevor das Böse in ihm zu voller Blüte erwacht war – nachts schreiend aufgewacht, und sie war zu seinem Bettchen gerannt, um ihn zu trösten. Mit den Worten eines Kindes hatte er seinen Alptraum beschrieben. Er war gestorben, doch er wanderte immer noch auf der Welt herum, denn er hatte etwas vergessen. Er hatte es vergessen, und ganz egal, was er tat, es wollte ihm nicht wieder einfallen. Und so wanderte sein

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