Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SdG 11 - Die Kochenjäger

SdG 11 - Die Kochenjäger

Titel: SdG 11 - Die Kochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
Vom Netzwerk:
gegangen war. Wieder einmal.
    Und so war Torahaval Delat losgeschickt worden, ihren Bruder aufzuspüren und ihm eine angemessene Strafe zu verpassen. Zum Beispiel, ihn bei lebendigem Leibe zu häuten, hatte sie damals gedacht. Sie waren also Schafe? Nun, sie trug in ihrem Bündel die Wolfspuppe, und sie hatte vor, sie für höchst schreckliche Qualen zu benutzen. Auch wenn sie bei weitem nicht so begabt war wie ihr jüngerer Bruder – und zugegebenermaßen lange nicht so phantasievoll – hatte sie es doch hinbekommen, eine Art Leine für die Kreatur zu erschaffen, und nun konnte sie ihm folgen, ganz egal, wo ihr Bruder auch hingehen mochte.
    Er war in der Lage, den größten Teil eines Tages und die folgende Nacht seinen Vorsprung zu wahren, bis sie ihn einen Glockenschlag vor der Morgendämmerung auf einem Dach im Prelid-Viertel von Aren einholte, in der Hand die Wolfspuppe, deren Hinterbeine sie nun packte und weit auseinanderzog.
    Der Junge, der eben noch gerannt war, lag im nächsten Augenblick flach auf dem Gesicht. Kreischend und lachend, und noch während sie stolperte, ärgerte sie dieses Lachen, so dass sie die beiden Beine noch weiter verdrehte.
    Und aufschreiend auf das mit Kieselsteinen bestreute Dach fiel, als schreckliche Schmerzen in ihren Hüften aufloderten.
    Ihr Bruder kreischte ebenfalls, doch er konnte nicht aufhören zu lachen.
    Sie hatte sich die Wolfspuppe nicht allzu genau angesehen, doch jetzt, keuchend und zuckend, machte sie sich daran, das Versäumnis nachzuholen. Die Düsternis weigerte sich zunächst nachzugeben, aber schließlich konnte sie den zusammengebundenen Körper des Tiers unter den Fellfetzen ausmachen – ihre Unterwäsche – die Teile, die eine Woche zuvor von der Wäscheleine verschwunden waren – verknotet und eng um irgendeinen festen Kern gewunden, über dessen Natur sie lieber nicht allzu genau nachdenken wollte.
    Er hatte gewusst, dass sie ihn suchen würde. Hatte gewusst, dass sie sein Versteck mit den Puppen im Dachgeschoss finden würde. Hatte gewusst, dass sie die Wolfspuppe benutzen würde, seine eigene Anima, die er so sorglos zurückgelassen hatte. Er hatte es gewusst, hatte … alles gewusst.
    In jener Nacht, in der Dunkelheit kurz vor der Morgendämmerung, beschloss Torahaval, dass sie ihn hassen würde – für immer. Leidenschaftlich, ein Hass, der grimmig genug war, die ganze Welt blank zu scheuern.
    Es ist leicht, die Schlauen zu hassen, selbst wenn es Verwandte sind. Vielleicht dann erst recht.
    Es gab keine klare Linie, die von dieser Erinnerung zu ihrem jetzigen Leben, zu diesem Augenblick führte, abgesehen von dem Gefühl, dass sie in einem Alptraum gefangen war; einem, aus dem sie im Gegensatz zu dem vor vielen Jahren niemals erwachen würde.
    Ihr Bruder war nicht da, ihr lachender, keuchender Bruder, der sich schließlich vor Schadenfreude auf dem Dach krümmte und die Zauberei in der Wolfspuppe freiließ. Und so dafür sorgte, dass die Schmerzen verschwanden. Ihr Bruder, ob tot oder lebendig – mittlerweile mit größerer Wahrscheinlichkeit tot –, war sehr weit weg. Und sie wünschte sich von ganzem Herzen, dass dem nicht so wäre.
    Rechts von ihr saß Bridthok, vor sich hin murmelnd wie ein betrunkener Bettler, an dem Tisch mit der fleckigen Granitplatte; seine Finger mit den langen Nägeln schoben die merkwürdige Sammlung von Gold- und Silbermünzen vor und zurück, während er versuchte, sie in irgendwelche Gruppen einzuteilen – eine Aufgabe, an der er ganz offensichtlich scheiterte. Die großen Kisten voller Münzen in Poliels Tempel waren bodenlos – und zwar nicht im übertragenen, sondern im wörtlichen Sinne, wie sie festgestellt hatten. Und wenn man hinuntergriff in die eiskalte Dunkelheit, schloss man die Hände um bereiftes Gold und Silber in allen möglichen Währungen. Gestempelte Barren, beschlagene Zähne, ausgehöhlte Kugeln, Reifen und Ringe, zusammengerollte Ballen aus golddurchwirkter Seide, so klein, dass sie in eine Hand passten, und Münzen aller Arten: viereckig, dreieckig, halbmondförmig, ausgehöhlt, röhrenförmig, zusammen mit komplizierten Faltschachteln, Ketten, Perlen, Haspeln, Wabenscheiben und Barren. Nicht eines dieser Stücke war denen, die hier, im Tempel von G’danisban mit seiner verrückten, entsetzlichen Göttin versammelt waren – die hier gefangen waren – vertraut. Torahaval hatte keine Ahnung gehabt, dass es so viele Sprachen auf der Welt gab, wie sie jetzt auf den vielen Münzen aufgeprägt

Weitere Kostenlose Bücher