SdG 12 - Der Goldene Herrscher
Edur in der Menge auf, einen Kopf größer als die meisten Letherii, und Brohl glaubte, hinter ihrem hochmütigen, unnahbaren Gehabe so etwas wie Verwirrung erkennen zu können; und einmal - bei einem übertrieben protzig gekleideten Ältesten, den Brohl persönlich kannte - sah er den Glanz von Habsucht in den Augen des Edur.
Veränderungen wurden selten bewusst gewählt, und es dauerte lange, bis sie schließlich fast unbemerkt bei der Allgemeinheit angekommen waren. Zugegeben, die Gesellschaft der Letherii hatte einige heftige Erschütterungen verkraften müssen - besiegte Armeen, ein getöteter König, und jetzt eine neue herrschende Klasse -, aber nicht einmal diese unerwarteten Umschwünge hatten sich als auch nur annähernd so katastrophal erwiesen, wie man das vielleicht hätte erwarten können. Der Strang, der Lether zusammenhielt, war elastisch und - wie Brohl mittlerweile wusste - weitaus stärker, als es den Anschein hatte. Was ihn allerdings am meisten beunruhigte, war die Leichtigkeit, mit der dieser Strang alle umgarnte, die sich in seiner Mitte wiederfanden.
Die Berührung ist giftig, aber das Gift ist nicht tödlich, sondern nur berauschend. Es ist süß, aber letzten Endes vielleicht doch tödlich. Dies ist das, was aus … Annehmlichkeiten entsteht. Allerdings konnte er sehr wohl erkennen, dass diese Annehmlichkeiten - diese Belohnungen - nicht für alle verfügbar waren; genauer gesagt schienen es sogar nur beunruhigend wenige zu sein. Während diejenigen, die reich waren, ihren Reichtum offensichtlich triumphierend zur Schau stellten, unterstrich gerade dieses Protzen, dass es sich nur um eine ausgesprochene Minderheit handelte. Aber dieses Ungleichgewicht war, wie ihm jetzt klar wurde, absolut unverzichtbar. Es konnte nicht jeder reich sein - das System würde diese Art von Gerechtigkeit nicht zulassen, denn die Macht und die Vorrechte, die es bot, waren vom genauen Gegenteil abhängig. Das System braucht die Ungerechtigkeit, denn wie kann Macht sonst bewertet, wie kann das Geschenk von Vorrechten sonst gewürdigt werden? Damit es Reiche geben kann, muss es Arme geben, und zwar mehr von Letzteren als von Ersteren.
Einfache Regeln, die man durch schlichte Beobachtung erkennen konnte. Brohl Handar war kein sonderlich gebildeter oder feinsinniger Mann, eine Schwäche, die ihm seit seiner Ankunft als Aufseher von Drene jeden Tag aufs Neue bewusst wurde. Er besaß keine besondere Erfahrung im Regieren, und nur wenige der Fähigkeiten, über die er verfugte, halfen ihm bei seinen neuen Aufgaben.
Letur Anict, der Repräsentant, führte einen inoffiziellen Krieg gegen die Stämme jenseits der Grenzgebiete, und er benutzte imperiale Truppen, um sich Land anzueignen und seinen neuen Besitz zu festigen. Es gab keine wirkliche Rechtfertigung für dieses Blutvergießen; das einzige Ziel war persönlicher Reichtum. Bis jetzt wusste Brohl Handar allerdings noch nicht, was er in dieser Angelegenheit unternehmen sollte - ja, ob er überhaupt etwas unternehmen sollte. Er hatte einen langen Bericht an den Imperator angefertigt, der die Lage hier in Drene anhand gut dokumentierter Einzelheiten genauestens beschrieb. Doch der Bericht befand sich noch immer bei seiner Habe, denn er hegte mittlerweile den Verdacht, dass der Imperator das Schriftstück niemals zu Gesicht bekommen würde - genauso wenig wie einer seiner Berater aus dem Volk der Edur -, sollte er es nach Letheras schicken. Der letheriische Kanzler Triban Gnol schien von Letur Anicts Taten zu wissen oder vielleicht sogar mit ihm unter einer Decke zu stecken - was auf ein großes, machtvolles und verborgenes Netzwerk hindeutete, das anscheinend ungeachtet der Herrschaft der Edur weiter gedieh. Im Augenblick verfügte Brohl Handar über nichts weiter als Verdachtsmomente, Hinweise auf das tückische Netz der Macht. Eine Verbindung war gewiss, und das war die mit dieser Vereinigung reicher letheriischer Familien, dem Freiheits-Konsortium. Möglicherweise bildete diese Organisation auch das Zentrum der verborgenen Macht. Aber ganz sicher war er sich nicht, was das betraf.
Brohl Handar, ein unbedeutender Adliger aus dem Volk der Tiste Edur und frisch ernannter Aufseher über eine kleine Stadt in einem abgelegenen Winkel des Imperiums, wusste nur zu gut, dass er so etwas wie dieses Freiheits-Konsortium nicht herausfordern durfte. In der Tat kam er mehr und mehr zu der Überzeugung, dass die mittlerweile in diesem riesigen Land weit verstreuten Stämme der
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