SdG 12 - Der Goldene Herrscher
zu besteigen, sich bemühte, ein gütiger Herrscher zu sein und nach einer Empfindungsfähigkeit strebte, die zu ehrlich und ungeschickt war, um etwas anderes als aufrichtig zu sein. Und das brach ihr das Herz.
Denn Macht hatte kein Interesse an Rechtschaffenheit. Selbst Ezgara Diskanar, der in seinen jungen Jahren so vielversprechend gewesen war, hatte schließlich im letzten Jahrzehnt seiner Herrschaft eine Mauer zwischen sich und den Bürgern des Imperiums errichtet. Rechtschaffenheit ließ sich zu leicht von anderen missbrauchen, und Ezgara hatte diese Art von Verrat wieder und wieder erlitten - nicht zuletzt und vielleicht am schmerzhaftesten von allem auch durch Janall, seine eigene Frau, und ihren gemeinsamen Sohn Quillas.
Es war zu leicht, über die Last solcher Wunden, die Tiefe solcher Narben hinwegzugehen.
Und Pdiulad, der jüngste Sohn einer adligen Familie aus dem Volk der Edur, war verraten worden - von jemandem, mit dem ihn wahre Freundschaft verbunden haben musste - von Udinaas, dem Sklaven; und er war von denen verraten worden, mit denen er durch das gemeinsame Blut verwoben war - von seinen eigenen Brüdern.
Doch jeden Tag überwand er die Qualen der Nacht, die gerade verstrichen war. Nisall fragte sich allerdings, wie lange das noch so weitergehen konnte. Sie allein war Zeuge seines inneren Triumphs, jenes außerordentlichen Kampfes, den er jeden Morgen mit sich ausfocht. Trotz all seiner Spione wusste der Kanzler davon nichts, dessen war sie sich sicher. Und diese Unwissenheit machte ihn gefährlich.
Sie musste mit Triban Gnol sprechen. Sie musste diese Brücke instand setzen. Aber ich werde nicht seine Spionin werden.
Also eine überaus schmale Brücke, eine, auf der man sich vorsichtig vorantasten musste.
Rhulad bewegte sich in der Düsternis.
Und dann flüsterte er: »Ich weiß, was du willst, Bruder …
Also leite mich … leite mich mit deiner Ehre …«
Oh, Trull Sengar, wo auch immer dein Geistsich verbergen mag- gefällt es dir? Gefällt es dir, zu wissen, dass dein Scheren fehlgeschlagen ist?
So dass du nun zurückgekehrt bist.
Um Rhulad so schrecklich heimzusuchen.
»Leite mich«, krächzte Rhulad.
Das Schwert glitt über den Fußboden, kratzte über die Mosaiksteine - und es klang wie kaltes Gelächter.
»Ich fürchte, das ist nicht möglich.«
Bruthen Trana musterte den Letherii, der vor ihm stand, mehrere Herzschläge lang, ohne etwas zu sagen.
Der Blick des Kanzlers huschte beiseite, als wäre er abgelenkt, und er schien kurz davor zu stehen, den Edurrieger geradeheraus wegzuschicken; doch dann - vielleicht, weil ihm klar wurde, dass das unklug sein könnte - räusperte er sich und sagte mit freundlicher Stimme: »Der Imperator besteht auf diesen Bittgesuchen, wie Ihr wisst, und sie beanspruchen jeden Augenblick, den er wach ist. Er ist von ihnen regelrecht besessen, wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet.« Seine Brauen hoben sich ein winziges bisschen. »Wie kann ein wahrer Untertan die Gerechtigkeitsliebe seines Imperators in Frage stellen? Die Bürger bewundern ihn mittlerweile. Sie betrachten ihn jetzt als den ehrenvollen Herrscher, der er tatsächlich ist. Diese Veränderung hat einige Zeit in Anspruch genommen, wie ich zugeben muss, und gewaltige Anstrengungen von unserer Seite erfordert.«
»Ich möchte mit dem Imperator sprechen«, sagte Bruthen im gleichen Tonfall wie zuvor, als er das erste Mal sein Anliegen vorgetragen hatte.
Triban Gnol seufzte. »Vermutlich wollt Ihr Euren Bericht hinsichtlich Beaufsichtiger Karos Invictad und seiner Patriotisten persönlich erstatten. Ich versichere Euch, dass ich besagten Bericht weiterleiten werde.« Er blickte den Tiste Edur stirnrunzelnd an, nickte dann und sagte: »Also gut. Ich werde Seiner Hoheit Eure Wünsche übermitteln, Bruthen Trana.«
»Wenn es nicht anders möglich ist, stellt mich zu den Bittstellern.«
»Das wird nicht nötig sein.«
Der Tiste Edur blickte den Kanzler ein halbes Dutzend Herzschläge lang an, dann drehte er sich um und verließ das Arbeitszimmer. Im sich anschließenden größeren Raum warteten eine ganze Reihe Letherii. Zwei Dutzend Gesichter wandten sich Bruthen zu, während er sich durch die Menge schob - nervöse Gesichter, die unterdrückte Furcht verrieten -, während andere den Tiste Edur mit Augen musterten, die nichts preisgaben: die Agenten des Kanzlers, diejenigen, die - wie Bruthen vermutete - jeden Morgen hinausgingen, um die Bittsteller für diesen Tag
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