SEAL Team 12: Gefährliche Suche (German Edition)
und ausruhte, würde es ihr wahrscheinlich bald wieder besser gehen. Rafael hatte mit seiner Mahnung, sie solle vorsichtig sein, wohl recht gehabt. Bedachte man, dass das Baby in vier Wochen kommen sollte, mutete sie sich viel zu viel zu.
Doch sie schaffte es nicht mehr bis zum Haus. Ein furchtbares Ziehen zwang sie in die Knie. Sie sah Staub aus dem Stroh aufsteigen und in der Spätnachmittagssonne glitzern. Und als sie Atem schöpfte und schwach um Hilfe rief, stieg ihr der stechende Geruch von Heu und Pferdemist in die Nase. »Graham!«
Vermutlich saß er gerade vor seinem Computer, hatte Kopfhörer auf und konnte sie deshalb nicht hören. »Agatha!«
Etwas Warmes, Nasses rann ihre Beine hinunter. Offenbar war ihre Fruchtblase geplatzt. Doch als sie an sich hinabblickte, stellte sie entsetzt fest, dass sich ihre Shorts im Schritt scharlachrot färbten. Blut … Sie blutete.
Da sie ausgebildete Krankenschwester war, erkannte sie sofort, was mit ihr nicht stimmte.
Abruptio placentae
… Die Plazenta hatte sich von der Wand ihrer Gebärmutter abgelöst. Mit dem Ergebnis, dass ihr Baby nun an Sauerstoffmangel litt und sie selbst ohne Weiteres verbluten konnte.
»Oh nein!« Sie brauchte dringend Hilfe. Also versuchte sie aufzustehen, doch die Schmerzen waren einfach zu stark, und bei jeder Bewegung verlor sie noch mehr Blut. »Hilfe!«, rief sie und schleppte sich in Richtung des offenen Scheunentors. »Graham! Agatha! Helft mir!«
Sie wollte sich gerade die weiteren sechs Meter zum Büro vorkämpfen, als Graham aus dem Haus gestürzt kam. »Mom? Hast du mich gerufen?«
»Hilf mir!«, schrie sie und kämpfte gegen die Panik an, die ihr die Kehle zuschnürte. »Schnell!«
Im nächsten Augenblick fiel sein Schatten auf sie. »Mom!«, rief er, dann versagte ihm die Stimme.
»Lauf ins Büro und ruf 9-1-1 an. Schnell, ich brauche einen Krankenwagen.«
»Oh Scheiße!«, stöhnte er, eine Oktave höher als sonst. »Da ist Blut!«
Viel zu viel Blut
, dachte Jillian, behielt ihre Befürchtung aber für sich. Ihre größte Sorge galt dem Baby.
Zwanzig Minuten später stand Graham in der Auffahrt und hielt seine kleine Schwester an der Hand, während sie dem Krankenwagen nachsahen, der mit Blaulicht davonbrauste. Die plötzliche Stille war beinahe schon unheimlich. Durch den Stoff seines T-Shirts spürte er Agathas tränennasses Gesicht. »Muss Mama jetzt sterben?«, flüsterte sie.
Ihre Worte ließen ihn erschaudern, sodass er ihr schnell widersprach: »Nein!« So abscheulich konnte Gott doch nicht sein. Oder etwa doch? Graham war in letzter Zeit nicht gerade ein Mustersohn gewesen. Er wusste, seine Mutter arbeitete zu hart, hatte aber keinen Finger krumm gemacht, um ihr zu helfen, sondern lieber in Selbstmitleid gebadet und sich darüber geärgert, dass sie eine Affäre mit einem neuen Mann begann.
Doch angesichts der noch frischen Erinnerung an das aschfahle Gesicht seiner Mutter schien nichts davon mehr eine Rolle zu spielen.
Womöglich würde sie sterben. Immerhin hatten die Sanitäter, von denen sie auf einer Rollbahre in den Krankenwagen geschoben worden war, gerufen: »Sie verliert zu viel Blut. Fordern Sie Transfusionen und ein Ultraschallgerät an!«
»Was ist mit meinen Kindern?«, hatte Graham Jillian noch schreien hören, dann wurden die Türen von innen geschlossen.
»Die können wir im Krankenwagen nicht mitnehmen, Ma’am. Das ist verboten. Ihr Vater soll mit ihnen nachkommen.«
»Mein Vater ist tot!«, hatte Graham sie angeschnauzt.
»Tut mir leid, Junge. Dann ruf einen Nachbarn oder sonst wen an.«
»Ruf Rafael an, Graham.« Dann waren die Türen zugeknallt und Bruder und Schwester sich selbst überlassen worden.
Sie hatten auch früher schon allein zurechtkommen müssen. Aber noch nie auf diese Weise.
Graham zitterte. Er würde Camerons Mutter anrufen. Vielleicht konnte die sie ja zum Krankenhaus fahren.
»Komm jetzt rein, Agatha«, murmelte er, legte einen Arm um sie und führte sie in ihr stilles Haus zurück, wo er sie aufs Sofa setzte, um Camerons Eltern anzurufen. Doch dort ging niemand ans Telefon. Und ihre Tante Jordan hielt sich in Venezuela auf. Wen also sollte er bloß verständigen?
Als er Agathas Schniefen hörte, ging er zu ihr, um sie zu beruhigen. Er musste nachdenken. In der Nacht, als sie ihren Vater verloren hatten, war es ähnlich gewesen. Er konnte sich noch daran erinnern, Agatha getröstet zu haben, obwohl er selbst total durcheinander gewesen war und sich gefragt
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