Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
gefärbt; die vorherrschende, vom grau nachwachsenden Ansatz grell abstechende Farbe war eine Art Orange. In der Luft hing der Zitronengeruch eines Mittels zum Fernhalten von Mücken und anderen Insekten. Er stieg aus einem Eimerchen unter dem Tisch auf, in dem die Substanz vor sich hin kokelte.
Nachdem Joan und King sich vorgestellt hatten, sagte Mildred: »Ich sitze gern hier hinten, trotz der verdammten Stechmücken. Um diese Jahreszeit leuchtet der Garten geradezu.«
»Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie uns empfangen«, sagte King höflich. Er hatte Joans Vorschlag befolgt und seinen Kopfverband abgenommen.
Mildred Martin bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, sich zu ihr an den Tisch zu setzen, und hielt ihr Glas in die Höhe. »Ich halte mich an Gin und trinke nicht gern alleine. Was darf ich Ihnen holen?« Ihre Stimme war tief und grummelnd, gezeichnet von jahrzehntelangem Alkohol- und Tabakkonsum.
»Einen Screwdriver«, erwiderte Joan mit einem raschen Seitenblick auf King. »Den mag ich einfach.«
»Scotch mit Soda«, sagte King. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Mrs Martin lachte herzlich auf. »O ja, wenn ich vierzig Jahre jünger wäre, dann könnten Sie mir behilflich sein.« Mit einem schelmischen Lächeln und schon ein wenig wackelig auf den Beinen ging sie ins Haus.
»Die Trauerzeit scheint bereits vorüber zu sein«, meinte King.
»Sie waren sechsundvierzig Jahre verheiratet und hatten eine gute Beziehung, wie es heißt. Ihr Mann war um die achtzig, schwer krank und litt ständig Schmerzen. Da gab’s vielleicht nicht viel zu betrauern.«
»Bill Martin war Brunos Mentor. Wie kam es dazu?«
»John Bruno hat für Martin gearbeitet, als er in Washington als Strafverfolger anfing. Martin hat ihm gezeigt, wo’s langging.«
»Bei der Generalstaatsanwaltschaft?«, fragte King.
»Genau«, erwiderte Joan.
King sah sich um. »So, wie’s hier aussieht, sind die Martins nicht sonderlich wohlhabend.«
»Der Öffentliche Dienst zahlt nicht grade die Welt, wie wir beide wissen. Und Bill Martin hat keine reiche Erbin geheiratet. Sie haben sich erst nach seiner Pensionierung hier niedergelassen. Seine Frau stammt von hier.«
»Abgesehen von nostalgischen Anwandlungen wüsste ich nicht, was einen an diesen Ort zurückziehen könnte.«
Mrs Martin erschien mit einem Tablett, auf dem die Drinks standen, und setzte sich wieder zu ihnen. »Also, ich nehme an, Sie wollen gleich zum Thema kommen. Ich habe schon mit der Polizei gesprochen. Ich werde Ihnen kaum etwas sagen können, denn ich habe von solchen Dingen keine Ahnung.«
»Das können wir gut verstehen, Mrs Martin«, sagte King. »Aber wir wollten Sie dennoch persönlich kennen lernen und uns mit Ihnen unterhalten.«
»Na, was ein Glück! Und nennen Sie mich bitte Millie. Mrs Martin ist meine Schwiegermutter, und die ist schon seit dreißig Jahren tot.«
»Okay, Millie. Wir wissen, dass Sie mit der Polizei gesprochen haben und dass man bei Ihrem Mann eine Autopsie vorgenommen hat.«
»Oh, das war eine komplette Zeitverschwendung.«
»Warum denn das?«, fragte Joan in scharfem Tonfall.
Mildred fasste sie genau ins Auge. »Weil ihn niemand vergiftet hat! Er war ein alter Mann mit Krebs im Endstadium, und er ist friedlich in seinem Bett eingeschlafen. Wenn ich nicht in meinem Garten tot umfallen kann, dann möchte ich auch auf diese Weise sterben.«
»Sie wissen von dem Anruf bei John Bruno?«
»Ja, und ich habe der Polizei schon gesagt, dass nicht ich es war, die ihn angerufen hat. Sie haben meine Anrufe überprüft. Anscheinend haben sie mir nicht geglaubt.«
Joan beugte sich vor. »Der springende Punkt bei dieser Geschichte ist, dass John Bruno nach dem Anruf angeblich sehr aufgeregt war. Können Sie uns das erklären?«
»Wie sollte ich, wenn ich ihn doch gar nicht angerufen habe? Gedankenlesen gehört leider nicht zu meinen Talenten, sonst wäre ich eine reiche Frau.«
Joan ließ nicht locker. »Betrachten Sie ’s mal von einer anderen Seite, Millie. John Bruno und Ihr Ehemann standen sich früher mal sehr nahe, aber das war lange vorbei. Doch da wird Bruno angerufen – angeblich von Ihnen – und um ein Treffen gebeten, und das nimmt er sehr ernst. Das heißt doch, dass die Anruferin etwas gesagt haben muss, was diese Wirkung hervorgerufen hat, irgendetwas, das John Bruno mit Ihnen oder mit Ihrem Mann in Verbindung brachte.«
»Na ja, vielleicht hat diese Frau ihm einfach nur erzählt, dass Bill tot ist. Ich hoffe doch, dass
Weitere Kostenlose Bücher