Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
genoss John einen einwandfreien Ruf. Er hat einige äußerst schwierige Fälle zum Abschluss gebracht, sowohl in Washington als auch später in Philadelphia, wo wir uns kennen lernten. Dadurch wurde er landesweit bekannt. Dass er dann auf die Idee kam, seinen Hut in den politischen Ring zu werfen, lag wohl daran, dass er in Washington dauernd mit Politikern zu tun hatte. Daran änderte auch sein Umzug nach Philadelphia nichts. Seine politischen Ambitionen sind nicht die meinen, aber ich bin seine Frau und habe ihn daher in der Öffentlichkeit unterstützt.«
Joan und King stellten nun Standardfragen, auf die Catherine Bruno Standardantworten gab, die ihnen kaum weiterhalfen.
»Es fällt Ihnen also niemand ein, der Ihrem Mann Böses gewünscht hätte?«, fragte Joan.
»Abgesehen von jenen, die er als Staatsanwalt gerichtlich verfolgte, niemand, nein. Es gab Todesdrohungen und solche Dinge, aber nicht in der letzten Zeit. In der Zeit zwischen seiner Tätigkeit als Generalstaatsanwalt in Philadelphia und dem Beginn seiner politischen Karriere arbeitete er übrigens mehrere Jahre lang als Anwalt in einer privaten Kanzlei.«
Joan, die sich Notizen machte, merkte auf. »Welche Kanzlei war das?«
»Die hiesige Niederlassung der Washingtoner Kanzlei Dobson, Tyler & Reed mit Sitz in der Market Street, also in der City. Eine sehr angesehene Firma.«
»Was waren dort seine Aufgaben?«
»Darüber hat er mit mir nie gesprochen. Und ich habe ihn nie gefragt. Es hat mich nicht interessiert.«
»Aber es ging wohl um Prozesse?«
»Mein Mann war immer dann am glücklichsten, wenn er eine große Bühne für seine Auftritte hatte. Daher halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass es um Prozesse ging.«
»Über bestimmte Sorgen und Probleme hat er mit Ihnen nicht gesprochen?«
»Er war der Meinung, die Kampagne liefe ganz gut. Er machte sich im Übrigen keinerlei Illusionen, was seine Siegeschancen betraf. Es ging ihm lediglich darum, seine Ansichten unters Volk zu bringen, ein Beispiel zu setzen.«
»Was hatte er nach den Wahlen vor?«
»Darüber haben wir nie ernsthaft gesprochen. Ich ging immer davon aus, er würde zu Dobson & Tyler zurückkehren.«
»Können Sie uns irgendetwas über sein Verhältnis zu Bill Martin sagen?«
»John hat den Namen hin und wieder erwähnt, aber das war eigentlich vor meiner Zeit.«
»Und Sie haben keine Ahnung, warum sich Bill Martins Witwe mit Ihrem Mann hätte treffen wollen?«
»Nicht die geringste. Wie ich schon sagte, diese Verbindung stammte aus der Zeit vor unserer Ehe.«
»Es war für Sie beide die erste Ehe?«
»Für ihn ja, für mich nicht.« Sie ließ es dabei bewenden.
»Und Sie haben Kinder?«
»Ja, drei. Für sie ist das alles sehr schlimm. Und für mich auch. Ich möchte bloß John wiederhaben.« Wie auf ein Stichwort begann sie zu schniefen. Joan zog ein Papiertaschentuch hervor und reichte es ihr.
»Das wollen wir alle«, erklärte Joan, wobei sie zweifellos an die Dollarmillionen dachte, die ihr Brunos Rückkehr einbringen würde. »Und ich werde nicht ruhen, bis ich dieses Ziel erreicht habe. Vielen Dank, Mrs Bruno. Wir bleiben in Verbindung.«
Sie verabschiedeten sich und fuhren zurück zum Flughafen.
»Was meinst du?«, fragte Joan unterwegs. »Witterst du irgendwo Unrat?«
»Mein Eindruck: eine hochnäsige Ziege, die mehr weiß, als sie uns erzählt. Doch das, was sie uns verschweigt, kann sich auch auf ganz andere Dinge beziehen und mit Brunos Entführung gar nichts zu tun haben.«
»Oder eben doch.«
»Das politische Tamtam scheint sie nicht gerade zu begeistern, aber welche Ehefrau mag das schon? Sie hat drei Kinder, und wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass sie weder die Kinder noch ihren Mann liebt. Das Geld der Familie gehört ihr. Was hat sie davon, wenn sie ihn kidnappen lässt? Sie müsste ja einen Teil des Lösegelds zahlen!«
»Ohne Lösegeldforderung zahlt sie nichts. Und wenn er nicht mehr lebt oder nicht mehr auftaucht und für tot erklärt wird, ist sie wieder frei und kann jemanden aus ihren eigenen Kreisen heiraten, der die Finger von der schmutzigen Politik lässt.«
»Das stimmt«, gab King zu. »Wir wissen einfach noch nicht genug.«
»Das kommt schon noch.« Joan schlug ihren Hefter auf und sah ihre Notizen durch. Ohne aufzublicken sagte sie: »Der Überfall auf dich und die Maxwell fand ungefähr gegen zwei Uhr morgens statt. Da sieh mal einer an! Ich dachte, ich wäre was Besonderes, und dabei lädst du alle möglichen
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