Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
ihn das nicht kalt gelassen hat. Immerhin waren die beiden mal befreundet.«
Joan schüttelte den Kopf. »Nein, das kann es nicht gewesen sein. John Bruno wusste bereits Bescheid über den Tod Ihres Mannes, das ist verbürgt. Er hatte nicht vor, die Leichenhalle aufzusuchen – bis eben dieser Anruf kam.«
Mrs Martin verdrehte die Augen. »Nun ja, das überrascht mich überhaupt nicht.«
»Warum nicht?«, fragte King.
»Ich will nicht um den heißen Brei herumreden. Ich war keineswegs begeistert von John Bruno. Bill dagegen verehrte ihn und hätte bald die Erde angebetet, über die Bruno geschritten ist. Er war beinahe fünfundzwanzig Jahre älter als Bruno und hat sich ihm gegenüber wie ein Mentor verhalten. Ich will nun keineswegs behaupten, dass Bruno in seinem Beruf nicht gut gewesen wäre. Sagen wir ’s mal so: John Bruno tat nur das, was den Interessen von John Bruno diente, alle anderen Menschen konnten ihm gestohlen bleiben. Ein Beispiel: Er ist nur zwanzig Minuten entfernt von seinem soeben verstorbenen Mentor und besitzt nicht einmal so viel Anstand, seinen Wahlkampf für einen Beileidsbesuch zu unterbrechen. Jedenfalls so lange nicht, bis er diesen Anruf kriegt – der dann angeblich von mir kam. Mehr braucht man über diesen Mann eigentlich nicht zu erfahren!«
»Ich schließe daraus, dass Sie ihn nicht unbedingt zum Präsidenten gewählt hätten«, sagte King lächelnd.
Mildred Martin antwortete mit einem tiefen, kehligen Lachen und legte ihre Hand auf die seine. »Ach, Süßer, Sie sind so was von niedlich, dass ich Sie glatt in mein Regal setzen und den ganzen Tag lang angucken könnte.« Sie ließ ihre Hand, wo sie war.
»Sie sollten ihn erst mal richtig kennen lernen«, erklärte Joan trocken.
»Ich kann’s kaum erwarten.«
»Mochten Sie John Bruno von Anfang an nicht, oder gab es einen bestimmten Anlass dafür?«, fragte Joan.
Mrs Martin nahm ihr leeres Glas auf und kaute auf einem Eiswürfel herum. »Was wollen Sie damit sagen?«
Joan senkte den Blick auf die Notizen, die vor ihr lagen. »Zu der Zeit, da Ihr Mann als Generalstaatsanwalt in Washington arbeitete, kam es zu einigen Unregelmäßigkeiten, die dazu führten, dass eine Reihe von Gerichtsurteilen revidiert und mehrere Anklagen zurückgezogen wurden. Das hat unangenehmes Aufsehen erregt.«
Mrs Martin zündete sich eine Zigarette an. »Das ist schon so lange her. Ich kann mich kaum noch daran erinnern.«
»Denken Sie darüber nach, das fällt Ihnen bestimmt wieder ein«, beharrte Joan in belehrendem Tonfall. »Vielleicht könnten Sie auch darauf verzichten, sich gleich wieder einen einzuschenken? Es geht schließlich um etwas sehr, sehr Wichtiges.«
»Na, na, nun mach mal halb lang«, sagte King. »Millie tut uns schließlich einen Gefallen. Sie braucht uns gar nichts zu erzählen, wenn sie nicht will.«
Mrs Martin tätschelte wieder seine Hand. »Danke, Süßer.«
Joan stand auf. »Ich mach dir einen Vorschlag: Du führst die Befragung zu Ende, während ich eine Zigarette rauchen gehe und den entzückenden Garten bewundere.« Sie nahm Mildreds Zigarettenpäckchen vom Tisch. »Was dagegen, wenn ich eine schnorre?«
»Nur zu, Süße, warum soll ich denn alleine sterben?«
»Ja, warum eigentlich, Süße? «
Joan entfernte sich. King sah Mrs Martin an und spielte den peinlich Berührten. »Sie ist manchmal etwas bissig.«
»Bissig? Das ist eine geschminkte Kobra in hochhackigen Schuhen. Ist sie wirklich Ihre Chefin?«
»Ja. Und ich lerne eine Menge von ihr.«
Mildred Martin sandte Joan, die ihre Zigarettenasche an einem Rosenstrauch abstreifte, einen bösen Blick hinterher. »Vergiss in ihrer Gegenwart bloß nie, deinen Reißverschluss festzuhalten, mein Junge, sonst wachst du eines Morgens auf, und dir fehlt ein wichtiger Körperteil.«
»Werd’s mir merken. Aber um noch mal darauf zurückzukommen, was sie über die geschäftlichen Dinge gesagt hat – ich hätte schwören können, Mildred, dass Sie dazu Ihre eigene Meinung haben, oder? War’s nicht sogar so, dass Ihr Mann letztlich aufgrund dieser Unregelmäßigkeiten den Hut nehmen musste?«
Die Witwe hob das Kinn, obwohl ihre Stimme zitterte. »Er hat die Schuld auf sich genommen, weil er der Chef war und ein ehrenwerter Mann. Heutzutage gibt’s nicht mehr viele Männer wie Bill Martin.«
»Das heißt, er hat die Schuld auf sich genommen, obwohl er gar nicht verantwortlich war?«
»Ich brauche noch einen Drink, sonst brech ich mir wieder ’ne Krone raus an
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