Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
jeher vermögend?«
»Ausschließlich die Frau. John Bruno wuchs in New York auf, in Queens, und stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Später zog seine Familie nach Washington, D. C. An der Georgetown-Universität hat er Jura studiert. Gleich nach dem Examen fing er als Staatsanwalt in Washington an.«
»Hast du Mrs Bruno schon kennen gelernt?«
»Nein. Ich wollte dich dabeihaben. Erster Eindruck und so, du weißt schon.«
Ein Hausmädchen lateinamerikanischer Herkunft – in gestärkter Uniform samt dazugehöriger Spitzenschürze und unterwürfiger Haltung – führte sie in den riesigen Salon. Bevor sie sich wieder entfernte, fehlte nur noch der Knicks. King schüttelte den Kopf über den antiquierten Auftritt, konzentrierte sich dann aber sogleich auf die kleine Frau, die in diesem Augenblick den Salon betrat.
Eine hervorragende First Lady, wenn es drauf ankäme, schoss es King durch den Kopf. Catherine Bruno war Mitte vierzig, zierlich, vornehm, würdevoll, gebildet – ein wahres Vorzeigeexemplar für blaues Blut und gute Manieren. Doch schon auf den zweiten Blick revidierte er seinen ersten Eindruck und sagte sich, dass Mrs Bruno viel zu sehr von sich selbst eingenommen war, eine Einschätzung, die er auch dadurch bestätigt fand, dass die Frau ihm ständig über die Schulter sah, wenn sie mit ihm sprach, so als wolle sie ihr kostbares Augenlicht nicht auf jemanden verschwenden, der nicht zur Aristokratie gehörte. Sie fragte King nicht einmal, warum er einen Verband um den Kopf trug.
Joan dagegen gelang es sehr schnell, Mrs Bruno dazu zu bringen, dass sie ihr in die Augen sah. An Joans Ader für stürmische Auftritte konnte King sich noch gut erinnern – er hatte sie immer mit Tornados in einer Suppendose verglichen. Er musste ein Lächeln unterdrücken, als seine Partnerin das Heft in die Hand nahm.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren, Mrs Bruno«, sagte Joan. »Die Polizei und das FBI haben zwar alles richtig gemacht, sind aber bisher nur zu minimalen Ergebnissen gekommen. Je länger Ihr Mann verschwunden bleibt, desto geringer wird die Chance, ihn lebend aufzufinden.«
Mrs Brunos hochfahrender Blick bekam sofort Bodenhaftung. »Nun, deshalb haben Johns Leute Sie ja angeheuert, oder? Damit Sie ihn finden und sicher zurückbringen.«
»Genau. Meine Ermittlungen laufen auf Hochtouren, aber ich brauche Ihre Hilfe.«
»Ich habe alles, was ich weiß, der Polizei gesagt. Erkundigen Sie sich dort.«
»Ich würde Ihnen lieber selbst ein paar Fragen stellen.«
»Warum?«
»Weil sich daraus möglicherweise Anschlussfragen ergeben könnten, auf die die Polizei nicht gekommen ist.«
Und weil wir mit eigenen Augen sehen wollen, dachte King, ob du nicht lügst, dass sich die Balken deiner Villa biegen.
»Na schön, fangen Sie an.« Mrs Bruno machte keinen Hehl daraus, dass sie das ganze Prozedere zutiefst anwiderte. King kam plötzlich der Verdacht, sie könne eine Affäre haben und die Auffindung ihres Gatten sei in Wirklichkeit das Allerletzte, was sie sich wünschte.
»Haben Sie den Wahlkampf Ihres Mannes unterstützt?«, fragte Joan.
»Was ist denn das für eine Frage?«
»Eine, auf die wir eine Antwort haben wollen«, erwiderte Joan freundlich. »Sehen Sie, wir versuchen mögliche Motive, potenzielle Verdächtige und viel versprechende Spuren zu entdecken.«
»Und was hat das mit der Frage zu tun, ob ich Johns politische Ambitionen unterstütze?«
»Nun, wenn Sie das tatsächlich getan haben, dann kennen Sie vielleicht Namen und erinnern sich an vertrauliche Unterhaltungen mit Ihrem Mann, in denen Dinge zur Sprache gekommen sind, die für diesen Teil seines Lebens wichtig waren. Wenn Sie von alldem dagegen nichts mitbekommen haben, müssen wir uns anderswo umsehen.«
»Je nun, ich kann nicht behaupten, dass ich von Johns politischer Karriere begeistert gewesen wäre. Ich meine, er hatte ohnehin keine Chance, das wussten wir doch alle. Und meine Familie…«
»War dagegen?«, soufflierte King.
»Wir sind keine Familie von Politikern . Unser Ruf ist makellos. Meine Mutter bekam damals fast einen Herzinfarkt, als ich einen Staatsanwalt so unsolider Herkunft heiratete, der obendrein auch noch zehn Jahre älter ist als ich. Aber ich liebe John. Trotzdem war und ist es nicht immer leicht, einen Mittelweg zu finden. In den Kreisen meiner Familie goutiert man gewisse Dinge einfach nicht. Ich kann also nicht sagen, dass ich in politischen Angelegenheiten seine Vertraute war. Als Staatsanwalt jedoch
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