Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
sich trotzdem Joan geschnappt – warum…? King spürte, wie sein Puls sich beschleunigte und seine Hände leicht zu zittern begannen. Seine Zeit beim Secret Service war schon so lange her! In den Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte er nichts Anstrengenderes getan, als langweilige, wenn auch fintenreiche juristische Schriftsätze mit pompösem Wortgeklingel zu befrachten. Und nun sollte er, wenn ihn sein Gefühl nicht trog, in sechzehn Minuten den erfahrenen Agenten mimen, der er einst gewesen war. Beim Anblick der leblosen Pappkameraden hinter der purpurroten Absperrung fragte er sich unwillkürlich, wann und wo denn nun der wahre Mörder in Fleisch und Blut auftauchen würde.
Die Lichter wurden gedimmt, die Geräusche der Menge erstarben. Schritte näherten sich. Der Mann hatte sich so stark verändert, dass King ihn, wäre er nicht auf sein Erscheinen gefasst gewesen, wohl kaum erkannt hätte.
»Guten Morgen, Agent King«, sagte Buick-Mann. »Ich hoffe, Sie sind bereit für Ihren großen Tag.«
KAPITEL 70
Gleich nach ihrer Ankunft sprachen Parks und Michelle mit dem Einsatzleiter der Polizeitruppen vor Ort, die Parks zum Schauplatz des Geschehens beordert hatte. Zur Verstärkung hatte er Marshals und andere Sicherheitskräfte aus dem angrenzenden Bundesstaat North Carolina angefordert. »Die werden noch vor uns dort sein«, hatte er Michelle während der Fahrt erklärt, worauf sie vorschlug: »Lassen Sie die am Waldrand aufmarschieren. So können sie fast einen Kreis um das Hotel bilden, ohne selbst gesehen zu werden.«
Inzwischen knieten sie beide am Waldrand hinter dem Fairmount-Hotel. Ein Streifenwagen blockierte die Zufahrt zum Hotel, ohne dass er von dort aus gesehen werden konnte. Auf einem Baum entdeckte Michelle einen Scharfschützen mit Zielfernrohrgewehr, der den Haupteingang des Hotels im Visier hielt.
»Haben Sie auch wirklich genug Leute hier?«, fragte sie Parks.
Der deutete auf verschiedene andere Stellen in der Dunkelheit, wo sich weitere Gesetzeshüter verbargen. Michelle konnte sie zwar nicht sehen, empfand ihre Anwesenheit aber trotzdem als beruhigend.
»Wir haben mehr als genug Leute für diesen Job«, erklärte Parks. »Fragt sich nur, ob wir Sean und die anderen alle noch lebendig rausholen können.« Er legte sein Gewehr auf den Boden und griff nach seinem Walkie-Talkie. »Michelle, Sie waren schon mal in diesem Hotel und kennen den Grundriss. Wie kommen wir am besten rein?«
»Beim letzten Mal, als Sean und ich diese Ausbrecher schnappten, haben wir auf dem Rückzug ein Loch in den Zaun geschnitten. Das war leichter als drüberzuklettern. Wenn der Zaun inzwischen nicht repariert wurde, kommen wir auf diesem Weg rein. Der Haupteingang ist mit Ketten versperrt, doch ungefähr zehn Meter weiter befindet sich ein großes, eingeschlagenes Fenster. Wenn wir dort einsteigen, sind wir innerhalb von Sekunden im Foyer.«
»Es ist ein Riesenkasten. Haben Sie eine Ahnung, wo wir mit der Suche beginnen sollten?«
»Ich habe eine Vermutung, für die aber einiges spricht: im Stonewell-Jackson-Saal. Das ist ein Innenraum, der direkt vom Foyer abgeht. Es gibt nur einen Eingang. Drinnen sind mehrere Fahrstühle.«
»Warum sind Sie so sicher, dass sich die Gesuchten dort aufhalten?«
»Das Hotel ist alt, alles quietscht und knarrt, und überall gibt’s Ratten und anderes Ungeziefer. Aber in diesem Saal habe ich bei geschlossener Tür keinen Laut gehört. Es war still, allzu still. Kaum machte ich die Tür wieder auf, kehrte die übliche Geräuschkulisse wieder zurück.«
»Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Ich glaube, der Saal ist schalldicht gemacht worden, Jefferson.«
Er starrte sie an. »Allmählich geht mir ein Licht auf.«
»Sind Ihre Männer alle auf ihren Plätzen?« Er nickte, und Michelle sah auf ihre Uhr. »Es ist schon fast Mitternacht, aber wir haben Vollmond. Zwischen hier und dem Zaun gibt es keine Deckung. Aber wenn der Zugriff von innen her erfolgt, haben wir vielleicht eine größere Chance, ohne Verluste davonzukommen.«
»Klingt vernünftig. Aber Sie gehen voran. Ich kenne mich hier nicht aus.« Parks sprach in sein Walkie-Talkie und befahl seinen Männern, den Kreis enger zu ziehen.
Michelle wollte losrennen, doch Parks packte sie am Arm.
»Mädchen, als junger Mann war ich ein guter Sportler, auch wenn’s für die Olympischen Spiele nie gereicht hat. Aber jetzt sind meine Knie kaputt. Also bitte nicht so schnell, damit ich
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