Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
mitkomme.«
Michelle lächelte. »Keine Sorge, Sie sind in guten Händen.«
Am Rand der schützenden Baumschatten machten sie kurz Rast. Vor ihnen lag die freie Fläche vor dem Zaun. Parks keuchte, trotz der relativ kurzen Strecke, die sie zurückgelegt hatten. Michelle sah ihn an.
»Bereit?«, fragte sie.
Er nickte und hob den Daumen.
Sie sprang unter den Bäumen hervor und rannte zum Zaun, Parks dicht hinter sich. Zunächst konzentrierte sie sich allein auf das, was vor ihr lag, doch dann registrierte sie auch das, was hinter ihr geschah. Und plötzlich lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken.
Die Schritte hinter ihr waren unregelmäßig, hatten dieselben ungleichen Längen, wie sie sie bei dem Mann gehört hatte, der versucht hatte, sie durch das Hotelfenster zu erschießen. Sie hatte geglaubt, es handle sich um einen Mann mit einer Verwundung – stattdessen war es einer mit arthritischen Knien. Und nun hörte sie auch den pfeifenden Atem.
Mit einem Satz verschwand sie hinter einem umgestürzten Baum. Einen Sekundenbruchteil darauf fegte ein Schrotschuss über sie hinweg. Sie rollte sich ab, zog ihre Waffe und erwiderte das Feuer mit einer Reihe von Schüssen, die einen tödlichen Bogen umspannten.
Parks fluchte über seinen Fehlschuss und warf sich gerade noch rechtzeitig zu Boden. Dann feuerte er zurück.
»Verdammt, Mädchen!«, schrie er. »Du bist schneller, als dir gut tut.«
»Scheißkerl!«, kreischte Michelle, während sie nach einem Fluchtweg und möglichen Komplizen von Parks Ausschau hielt. Dann schoss sie wieder; die beiden Schüsse fetzten Splitter von dem Felsblock, hinter dem Parks kauerte.
Er schoss zurück, ohne Michelle zu treffen. »Tut mir Leid«, schrie er, »aber ich hatte keine andere Wahl.«
Wie schaffe ich es so schnell wie möglich zurück zum Wald, ohne dass er mich erwischt, fragte sie sich. Es war nicht allzu weit, und die Bäume standen dort dicht an dicht. »Herzlichen Dank!«, rief sie. »Da fühl ich mich doch gleich viel besser! Was ist los, zahlt Ihnen der Marshals Service nicht genug?«
»Das tut er tatsächlich nicht. Aber ich hab vor vielen Jahren, als ich noch Bulle in Washington war, einen großen Fehler gemacht, und der hat mich jetzt wieder eingeholt.«
»Könnten Sie sich vielleicht etwas deutlicher ausdrücken, bevor Sie mich abknallen?« Halt ihn am Reden, befahl sich Michelle. Solange er quatscht, schießt er nicht. Vielleicht findet sich ja doch noch ein Ausweg.
Nach kurzem Zögern rief Parks zurück: »Sagt Ihnen das Jahr 1974 was?«
»Die Demonstration gegen Nixon?« Michelle dachte scharf nach, dann fiel es ihr ein. »Sie waren es, der damals Arnold Ramsey verhaftet hat!« Parks schwieg. »Aber Ramsey war unschuldig. Er hat diesen Nationalgardisten nicht getötet…« Die Wahrheit traf sie wie ein Blitz. » Sie haben den Mord begangen und ihn Ramsey in die Schuhe geschoben! Und Sie wurden dafür bezahlt.«
»Waren verrückte Zeiten damals. Ich glaube, ich war ein ganz anderer Mensch. Und es lief auch ganz anders als geplant. Ich nehme an, ich hab einfach zu fest zugeschlagen. Ja, es stimmt, ich wurde dafür bezahlt, aber das Geld reichte, wie sich bald herausstellte, hinten und vorne nicht.«
»Und Ihr damaliger Auftraggeber erpresst Sie jetzt, was? Sie tun das alles hier nur, weil er es von Ihnen verlangt?«
»Sag ich ja, es ist mich viel zu teuer gekommen. Bei Mord gibt’s keine Verjährung, Michelle.«
Sie hörte ihm nicht mehr zu, weil sie jetzt damit rechnete, dass er sich auf dieselbe Taktik verlegt hatte wie sie selbst: Er ließ sie reden und versuchte dabei, seine Position zu verbessern und sie zu überrumpeln. Michelle versuchte sich möglichst genau an Parks’ Waffe zu erinnern. Was war es doch gleich für ein Modell? Ja, richtig, eine fünfschüssige Remington-Schrotflinte…
Sie hoffte, dass ihr Gedächtnis ihr keinen Streich spielte. Vier Schüsse hatte Parks abgegeben, und so still, wie es hier draußen war, hätte sie hören müssen, wenn er nachgeladen hätte.
»Hey, Michelle, sind Sie noch da?«
Statt zu antworten, gab sie drei Schüsse auf den Felsblock ab, und Parks feuerte zurück. Kaum war der Rehposten an ihr vorbeigeflogen, sprang sie auch schon auf und rannte in den Wald.
Parks lud hastig seine Waffe nach und fluchte dabei vor sich hin. Bis er wieder auf Michelle anlegen konnte, war sie schon zu weit entfernt für seine Schrotladungen und rannte immer schneller. Er schrie in sein Sprechfunkgerät.
Michelle
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