Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
gibt es dazu nicht zu sagen.«
Joan antwortete nicht, sondern starrte eine Weile lang nur ins Feuer. Dann erhob sie sich, tappte zum Kamin, kniete davor nieder und strich mit der Hand über die gemauerte Einfassung.
»Zimmermann und Maurer?«
»Nein, den hat ein Kaminbauer gemacht. Ich kenne meine Grenzen.«
»Sehr erfreulich. Die meisten Männer in meiner Bekanntschaft würden nicht einmal zugeben, dass sie welche haben.«
»Danke. Aber ich möchte immer noch wissen, warum du hier bist.«
»Mit dem Secret Service hat das gar nichts zu tun. Dafür aber umso mehr mit dir und mir.«
»Es gibt kein ›dir und mir‹.«
»Aber es gab mal eines. Wir haben jahrelang gemeinsam im Service gearbeitet. Wir haben miteinander geschlafen – und wenn die Dinge ein bisschen anders gelaufen wären, hätte sich vielleicht sogar ein etwas dauerhafteres Arrangement ergeben. Abgesehen davon: Wenn an meinem Arbeitsplatz ein Mensch ermordet würde, der im Zeugenschutzprogramm ist, und wenn infolgedessen meine Vergangenheit ans Licht gezerrt würde, dann wäre ich froh und glücklich, wenn du bei mir vorbeikämst und fragen würdest, wie ich mit all dem fertig werde.«
»Ich glaube nicht, dass ich das täte.«
»Wie dem auch sei, das ist jedenfalls der Grund für mein Kommen. Ich wollte sehen, wie es dir geht und wie du mit all dem zurechtkommst.«
»Es freut mich, dass meine bedauernswerte Lage dir die wunderbare Gelegenheit geboten hat, mir dein mitfühlendes Wesen vorzuführen.«
»Sarkasmus passt wirklich nicht zu dir, Sean.«
»Es ist schon spät, und du hast noch die lange Rückfahrt nach Washington vor dir.«
»Stimmt. Sie ist sogar zu lang.« Nach einer kurzen Pause fügte Joan hinzu: »Du hast anscheinend ’ne ganze Menge Zimmer hier im Haus.«
Sie stand auf und setzte sich direkt neben ihn, für sein Gefühl unangenehm direkt. »Du siehst immer noch so fit aus, als wolltest du bei der Geiselbefreiertruppe vom FBI anheuern«, sagte sie und ließ ihren Blick voller Bewunderung über seinen durchtrainierten, eins vierundachtzig großen Körper gleiten.
Er schüttelte den Kopf. »Für solche Jobs bin ich zu alt. Meine Knie sind ramponiert, die eine Schulter auch.«
Joan seufzte, wandte den Blick ab und strich sich eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr. »Ich bin gerade vierzig geworden.«
»So geht es vielen. Das ist doch kein Weltuntergang.«
»Für einen Mann nicht, da hast du Recht. Für eine unverheiratete Frau ist das kein schönes Alter.«
»Du siehst doch super aus, super für dreißig, super für vierzig. Und du hast deine Karriere.«
»Hätte nicht gedacht, dass ich so lange durchhalte.«
»Du hast länger durchgehalten als ich.«
Sie stellte ihr Weinglas ab und sah ihn an. »Das war leider ein Fehler.«
Verlegenes Schweigen. Schließlich sagte King: »Es ist schon so lange her. Schnee von gestern.«
»Das nehme ich dir nicht ab. Ich sehe doch, wie du mich anschaust.«
»Was hast du erwartet?«
Sie griff nach ihrem Weinglas und leerte es in einem Zug. »Du hast wirklich keine Ahnung, wie schwer es mir gefallen ist, hierher zu kommen. Ich habe ungefähr zehn Mal meine Meinung geändert. Und eine geschlagene Stunde gebraucht, bis ich mich endlich entscheiden konnte, was ich anziehen soll. Hat meine Nerven mehr strapaziert als das Sicherheitsbrimborium bei der Amtseinführung eines Präsidenten.«
So hatte sie damals nicht geredet, jedenfalls nicht, soweit er sich erinnerte. Ihr Markenzeichen war immer ein überbordendes Selbstbewusstsein gewesen. Mit den Jungs vom Service hatte sie ein kumpelhaftes Verhältnis – ganz so, als wäre sie nicht nur selber einer von der Bande, sondern gleich ihr Anführer.
»Es tut mir Leid, Sean, aber ich glaube, dass ich nicht ein einziges Mal ›tut mir Leid‹ gesagt habe.«
»Unterm Strich war es meine Schuld. Schwamm drüber.«
»Das ist sehr nett von dir.«
»Ich kann nicht ewig einen Groll mit mir herumtragen, dazu fehlen mir die Zeit und die Energie. So wichtig ist das für mich nicht.«
Sie schlüpfte in ihre Schuhe, stand auf und zog sich ihre Jacke über. »Du hast Recht, es ist schon spät, und ich muss mich auf den Weg machen. Entschuldige, wenn ich dein wunderbares Leben gestört habe. Und außerdem bitte ich um Vergebung dafür, dass ich mir solche Sorgen um dich gemacht habe und deshalb extra hergekommen bin.«
King setzte zu einer Antwort an, hielt dann aber inne. Erst als Joan bereits zur Tür ging, seufzte er und sagte: »Du hast zu viel
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