Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
und Situps auf dem kalten Boden. Er wusste nicht, ob er unter ständiger Überwachung stand, und es war ihm auch relativ gleichgültig. Schon gleich zu Beginn seiner Gefangenschaft hatte er an Flucht gedacht, doch inzwischen war er überzeugt, dass ein Entkommen unmöglich war.
Angefangen hatte das alles in dieser Leichenhalle und mit Mildred Martin – oder besser: einer Frau, die sich als Mildred ausgegeben hatte. Zum hundertsten Male verfluchte er sich insgeheim selbst, weil er nicht auf Michelle Maxwells Rat gehört hatte. Egomane, der er war, verfluchte er allerdings auch Michelle Maxwell, weil sie nicht mit größerem Nachdruck darauf bestanden hatte, ihn in diese Halle zu begleiten.
Wie lange er sich schon in diesem Verlies aufhielt, wusste er nicht. Während seiner Bewusstlosigkeit hatte man ihm all seine Habseligkeiten, einschließlich der Armbanduhr, weggenommen. Auch den Grund für die Entführung kannte er nicht. Ob es mit seiner Präsidentschaftskandidatur oder mit seiner früheren Tätigkeit als Staatsanwalt zu tun hatte? Er hatte keine Ahnung. Dass es dafür ganz andere Gründe geben mochte, war ihm bisher nicht in den Sinn gekommen. Anfangs hatte er auf eine schnelle Befreiung gehofft, aber mittlerweile schätzte er seine Chancen realistischer ein. Die Leute, die ihn gekidnappt hatten, wussten ganz genau, was sie taten. Er hatte seine Erwartungen schließlich auf die schwache Hoffnung auf ein Wunder reduziert, doch als Stunde um Stunde und Tag um Tag verstrichen, begann auch diese Hoffnung zu schwinden. Er dachte an seine Frau, seine Kinder und seine Präsidentschaftskandidatur, und er hatte sich damit abgefunden, dass sein Leben an diesem unwirtlichen Ort zu Ende gehen und seine Leiche vielleicht niemals gefunden würde. Es war ihm lediglich ein Rätsel, warum man ihn überhaupt so lange am Leben ließ.
Er drehte sich auf den Bauch. Er konnte nicht einmal mehr die trübe Funzel ertragen.
Der Mensch, der am Ende des Flurs in einer anderen Zelle einsaß, befand sich schon viel länger in Gefangenschaft als John Bruno. Die Verzweiflung in seinen Augen und sein in sich zusammengesunkener Körper zeigten an, dass er längst jede Hoffnung aufgegeben hatte. Essen, sitzen, schlafen und irgendwann wahrscheinlich sterben – so sah die düstere Zukunft aus. Der Mensch zitterte und wickelte sich in eine Wolldecke.
In einem anderen Teil der großen unterirdischen Anlage gab sich ein Mann einer interessanten Beschäftigung hin. Seine unbändige Energie und seine Hoffnungen standen in krassem Gegensatz zu der Verzweiflung seiner Gefangenen.
Schuss um Schuss feuerte er auf eine menschliche Silhouette ab, die in dem schalldichten Raum in gut dreißig Meter Entfernung als Zielscheibe hing, und jeder Schuss wäre im Ernstfall tödlich gewesen. Der Mann war zweifellos ein hervorragender Schütze.
Er drückte auf einen Knopf. Das Ziel kippte um und wurde von der motorisierten Anlage in Richtung des Schützen transportiert. Der ließ sofort eine neue Zielscheibe auffahren, diesmal in der größtmöglichen Entfernung. Er schob ein neues Magazin in seine Waffe, setzte Augen- und Ohrenschützer auf, zielte und feuerte, insgesamt vierzehn Schuss in weniger als fünfundzwanzig Sekunden. Als die Zielscheibe diesmal zurückkam, lächelte er befriedigt. Nicht ein einziger Schuss war danebengegangen. Er steckte seine Waffe ein und verließ den Schießstand.
Der nächste Raum, den der Mann betrat, war kleiner als der Schießstand und ganz anders aufgeteilt. Auf Regalen, die vom Fußboden bis zur Decke reichten, lagerten alle Arten von Zündern, Zündkabeln und anderen Gegenständen. Wer immer die Absicht hatte, etwas in die Luft zu sprengen, und zwar so effizient und nachhaltig wie möglich, fand hier, was dazu erforderlich war. In der Mitte des Raumes stand ein großer Arbeitstisch. An diesem nahm der Mann nun Platz und begann, Drähte, Transistoren, Zeitzünder, Sprengkapseln und C-4-Plastiksprengstoffe in komplizierte Geräte zu verwandeln, die verheerende Explosionen verursachen konnten. Er war mit der gleichen Konzentration und Liebe zum Detail bei der Sache wie zuvor auf dem Schießstand.
Bei seiner Arbeit summte er vor sich hin.
Eine Stunde später begab er sich in einen dritten Raum, der sich grundlegend von den anderen beiden unterschied. Einem unbefangenen Betrachter, der weder die Waffen- und Sprengstofflager noch die Verschläge der menschlichen Verfügungsmasse, sondern nur das Interieur dieses Raumes zu
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