Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
Panik ausbrach, praktisch keinerlei Hilfe.«
»Sie haben das Video gesehen, nehme ich an.«
»Ja. Wie dem auch sei, die Positionierung der Agenten war jedenfalls nicht Ihre Schuld. Meiner Meinung nach hätte da der Einsatzleiter mehr Rückgrat zeigen müssen.«
»Bob Scott war ein ehemaliger Armeeoffizier, der in Vietnam gedient hatte und dort sogar in Kriegsgefangenschaft geraten war. Ein guter Mann eigentlich, aber wenn Sie mich fragen, neigte er dazu, die falschen Schlachten zu schlagen. Er hatte damals auch massive persönliche Probleme. Zwei Monate vor Ritters Ermordung hatte seine Frau die Scheidung eingereicht. Bob wollte auch nicht mehr im Personenschutz tätig sein, sondern lieber wieder als Ermittler arbeiten. Ich glaube, er hat es immer bedauert, dass er aus dem Militärdienst ausgeschieden war – die Uniform passte einfach besser zu ihm als ein Anzug. Es kam vor, dass er salutierte statt guten Tag zu sagen, und er sagte immer ›vierzehn Uhr‹, ›fünfzehn Uhr‹ und so weiter, wie beim Militär üblich. Er konnte sich nicht daran gewöhnen, dass man beim Service ›zwei Uhr nachmittags‹ sagt. Der militärische Stil lag ihm einfach sehr viel mehr.«
»Was ist denn eigentlich aus ihm geworden?«
»Er hat den Dienst quittiert. Der Hauptzorn richtete sich damals gegen mich, doch wie Sie schon sagten, war letztlich ja der Einsatzleiter verantwortlich. Er hatte genug Dienstjahre auf dem Buckel, weshalb er sich um seine Pension keine Sorgen machen musste. Ich habe den Kontakt zu ihm verloren. Bob gehört nicht zu den Leuten, die mir Weihnachtskarten schicken würden.« King machte eine Pause und setzte dann hinzu: »Außerdem war er ein bisschen zu schießwütig.«
»Ein Waffennarr? Nun, das ist bei ehemaligen Soldaten ja nicht ungewöhnlich. Alle Dienste haben solche Typen auf der Gehaltsliste.«
»Bei Bob war das aber schon ein bisschen krankhaft. Mit dem hätte die Waffenlobby Reklame machen können.«
»War er zur Zeit des Attentats im Hotel?«
»Ja. Manchmal war er bei solchen Veranstaltungen schon mit dem Voraustrupp unterwegs in die nächste Stadt. Damals blieb er aber in Bowlington – warum, weiß ich nicht. Es war ja wirklich ein gottverlassenes Kaff.«
»Ich hab auch Sidney Morse auf dem Video gesehen. Er stand unmittelbar neben Ritter.«
»Ja, das war immer so. Ritter hatte die schlechte Angewohnheit, sich nie an irgendwelche Zeitvorgaben zu halten. Morse hielt ihn daher am kurzen Zügel.«
»Ich hab den Eindruck, dieser Morse hatte auch sonst die Zügel in der Hand, oder?«
»Ja, das stimmt. Zu Beginn des Wahlkampfs war ein gewisser Doug Denby Ritters Stabschef und damit de facto auch sein Wahlkampfmanager. Als die Kampagne dann richtig in Fahrt kam, brauchte Ritter einen erfahrenen Full-Time-Manager, und da war Morse genau der Richtige. Sein Einstieg wirkte auf Ritters Wahlkampf wie ein Energieschub. Morse war ein umtriebiger, theatralischer Dicker mit einem Motor, der niemals still stand. Mit der linken Hand stopfte er sich dauernd irgendwelche Schokoriegel in den Mund, mit der Rechten hing er am Handy, bellte Befehle und bearbeitete die Medien. Geschlafen hat er, glaube ich, nie. Denby spielte unter Morse nur noch die zweite Geige. Verdammt, ich glaube, dass sogar Ritter Respekt vor ihm hatte.«
»Wie kamen Morse und Bob Scott miteinander aus?«
»Sie stimmten nicht in allen Sachfragen überein, aber sonst ging es ganz gut. Wie ich schon sagte, Bob steckte damals mitten in einer Scheidungskrise, und Morse hatte einen jüngeren Bruder – Peter, wenn ich mich recht erinnere –, der in irgendwelche üblen Machenschaften verwickelt war und Sidney damit ganz schön belastete. Dieser private Stress verband die beiden. Sie kamen daher ganz gut miteinander aus. Weniger gut klappte es zwischen Morse und Doug Denby. Doug war ein Mann der ernsten Themen, ein Südstaatler der alten Schule mit Ansichten, die vielleicht vor fünfzig Jahren dem Zeitgeist entsprachen, Morse dagegen war ein Überflieger von der Westküste, ein Showman, der dafür sorgte, dass Ritter zum Medienereignis wurde, in allen Talkshows auftrat, ein produktiver Wirbelwind. Es dauerte nicht lange, und die ernsten Themen im Wahlkampf wurden zugunsten der Showeffekte zurückgedrängt. Ritter hatte keine realistische Siegeschance, aber er war ein großer Schmierenkomödiant, was bei einem Fernsehprediger ja nahe liegt, und es gefiel ihm zunehmend, dass sein Gesicht und sein Name jetzt immer größer rauskamen. Soweit ich
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