Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
und ich sind auf alle Zeiten miteinander verbunden: Wir sind die beiden schlechten Agenten, die im entscheidenden Moment versagt haben. Was mich betrifft, so bin ich das nicht gewöhnt. Ich war sonst immer die Beste, bei allem, was ich angepackt habe. Und was Sie angeht – ich wette, bei Ihnen verhält sich das genauso.«
» Goodbye , Agentin Maxwell. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«
»Es tut mir Leid, dass unsere erste Begegnung einen solchen Verlauf nehmen musste.«
»Unsere erste und hoffentlich auch letzte.«
»Nur eines noch: Obwohl der offizielle Untersuchungsbericht nichts darüber aussagt, haben Sie die Möglichkeit, dass die Person im Fahrstuhl Sie ablenken sollte, mit Sicherheit auch selber schon erwogen.«
King antwortete nicht.
»Ich finde das sehr interessant«, sagte Michelle und sah sich um.
»Sie finden offensichtlich viele Dinge sehr interessant«, gab King unwirsch zurück.
»Dieses Haus hier…«, schwärmte Michelle und deutete auf die hohe Decke, die schimmernden Balken, den blank gewienerten Fußboden. Alles war blitzsauber. »Dieses Haus hier ist wunderschön. Das ist eine absolut perfekte Schönheit.«
»Da sind Sie nicht die Erste, die das sagt.«
»Ja«, sagte sie, als hätte sie ihn gar nicht gehört. »Es ist schön, aber es sollte warm und gemütlich sein.« Sie drehte sich um und sah ihn an. »Aber das ist es nicht. Es ist in höchstem Maße zweckmäßig, stimmt’s? Jeder Gegenstand steht an seinem Platz, wie auf einer Bühne, aufgebaut von jemandem, der den Drang verspürt, alles unter Kontrolle zu haben, und dabei diesem Haus die Seele genommen hat – oder zumindest nicht zugelassen hat, dass die eigene Seele sich hier verwirklichen konnte.« Michelle schlang die Arme um sich selbst. »Ja, es ist kalt hier. Sehr kalt.« Sie wandte den Blick ab.
»Mir gefällt es so«, erwiderte er knapp.
Sie musterte ihn kritisch. »Wirklich, Sean? Ich gehe jede Wette ein, dass Sie das früher anders gesehen haben.«
Er beobachtete, wie sie mit ihren langen Beinen energischen Schritts zum Anleger hinunterging. Sie schob ihr Boot ins Wasser und war schon bald nur mehr ein kleiner Fleck auf der Oberfläche des Sees.
King hatte ihr die ganze Zeit nachgesehen, nun aber schlug er die Tür so heftig zu, dass sie krachend ins Schloss fiel. Wieder in der Küche, entdeckte er etwas unter ihrer Kaffeetasse. Es war ihre Visitenkarte. Auf der Vorderseite stand ihre Dienstanschrift beim Secret Service, auf die Rückseite hatte sie ihre private Telefonnummer sowie ihre Handynummer gekritzelt. Sein erster Impuls war, die Karte wegzuwerfen. Aber er gab ihm nicht nach. Er behielt sie in der Hand, während draußen auf dem See der Fleck kleiner und kleiner wurde, bis Michelle Maxwell hinter einer Biegung verschwand und endgültig nichts mehr von ihr zu sehen war.
KAPITEL 23
John Bruno lag auf einem schmalen Feldbett und starrte an die Zimmerdecke. Eine Fünfundzwanzig-Watt-Birne war die einzige Lichtquelle. Sie würde eine Stunde lang brennen und dann ausgehen. Wenn sie danach wieder anging, brannte sie vielleicht nur zehn Minuten lang. Es gab keinen regelmäßigen Rhythmus. Der Beleuchtungsterror war zum Wahnsinnigwerden; er nahm ihm die Kraft und diente einzig und allein dem Zweck, ihn mürbe zu machen. Und das war ihm auch schon gelungen.
Bruno trug einen trübgrauen Jogginganzug. Seine Wangen bedeckte ein stoppeliger Mehrtagebart, denn welcher Gefängniswärter, der seine fünf Sinne beisammen hatte, würde einem Gefangenen schon einen Rasierapparat geben? Zum Waschen hatte er einen Eimer und ein Handtuch; beides wurde ausgewechselt, während er schlief. Seine Mahlzeiten wurden in unregelmäßigen Abständen durch einen Schlitz in der Tür geschoben. Nicht ein einziges Mal hatte er seine Entführer gesehen, wusste weder, wo er sich befand, noch, auf welchem Weg er hier hergekommen war. Seine Versuche, mit der unsichtbaren Gestalt, die ihm das Essen durch den Schlitz schob, ins Gespräch zu kommen, waren erfolglos geblieben, sodass er sie nach einer Weile aufgegeben hatte.
Seine Mahlzeiten, das hatte er inzwischen herausgefunden, waren oft mit Drogen versetzt, die ihn in Tiefschlaf versetzten, gelegentlich aber auch Halluzinationen hervorriefen. Doch wenn er gar nichts aß, würde er verhungern – also aß er. Nie durfte er seine Zelle verlassen, was seine Bewegungsfreiheit auf zehn Schritte hin und zehn Schritte zurück einschränkte. Um bei Kräften zu bleiben, behalf er sich mit Liegestützen
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