Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
Porträt von dir gemalt? Damit sind seine Absichten doch wohl eindeutig.«
»Er ist unglücklich.«
»Aber es ist nicht deine Aufgabe, etwas daran zu ändern«, erwiderte King. »Also lass die Finger von ihm, Michelle. Dein Urteilsvermögen zu trüben wäre das Dümmste, was jetzt geschehen könnte.« Michelle schien widersprechen zu wollen, schwieg dann aber. »Er ist ein attraktiver, netter Kerl, obwohl er in seinem Leben schon manche Tragödie zu verwinden hatte. Außerdem steckt er in einer gescheiterten Ehe. Du wärst nicht die erste Frau, die es dazu drängt, so einem Mann zur Seite zu stehen.«
»Das hört sich an, als hättest du in diesen Dingen schon allerhand Erfahrung gesammelt.«
»Die Welt ist voll mit solchen Dingen . Und keiner von uns ist dagegen gefeit.«
»Gut, gut, ich habe verstanden. Wohin fahren wir eigentlich?«
»Wir statten Roger Canney einen Besuch ab. Ungefähr zu der Zeit, als seine Frau starb, ist er zu einem beträchtlichen Vermögen gelangt. Die Herkunft ist unklar.«
»Interessant.«
»Das Interessanteste weißt du noch gar nicht. Die selige Mrs Canney hatte eine Stelle.«
»So? Wo denn?«
»Bei der Firma Battle. Möchtest du raten, wer ihr unmittelbarer Vorgesetzter war?«
»Bobby Battle.«
»Volltreffer.«
KAPITEL 60
Als sie an die Eingangstür von Canneys Villa klopften, öffnete niemand.
»Merkwürdig«, sagte King. »Ich habe uns telefonisch angekündigt. Er hat versichert, er wäre daheim.«
»Zumindest müsste die Haushälterin da sein.«
Michelle ging zur Garage und spähte durchs Fenster. »Da stehen zwei Autos, ein großer Beemer und ein Land Rover. Ich bezweifle, dass sie der Haushälterin gehören, es sei denn, Canney bezahlt sie ungewöhnlich gut.«
King drückte die Hand gegen die Haustür, und sie schwang nach innen. Michelle sah es, zückte sofort die Pistole und kam zu ihm.
»Ich schwöre bei Gott«, flüsterte sie, »wenn er tot im Haus liegt, ein Hundehalsband trägt und an der Hand eine Uhr hat, die auf sechs zeigt, werde ich eine Woche lang aus vollem Hals schreien.«
Lautlos huschten sie ins Haus. Im Flur war niemand zu sehen. Wachsam eilten sie von Zimmer zu Zimmer.
Zuerst hörte Michelle das Geräusch, eine Art Ächzen, das aus dem rückwärtigen Teil der Villa kam. Sie eilten dorthin und sahen sich um. Sie erblickten keine Menschenseele, doch das Geräusch wiederholte sich, und diesmal folgte ihm das Klirren von Metall an Metall.
Michelle deutete auf eine Tür ganz am Ende des Flurs. King nickte, schlich dorthin und schob die Tür mit dem Fuß langsam auf, während Michelle ihm Deckung gab. King spähte ins Zimmer und blieb angespannt; dann aber lockerte sich seine Haltung. Er öffnete die Tür und winkte Michelle zu sich.
Canney saß, ihnen den Rücken zugewandt, in seinem vorzüglich ausgestatteten privaten Fitnessstudio, hatte einen Kopfhörer auf und machte Beinbeugen. King hämmerte gegen die Tür, sodass Canney herumfuhr und sich den Kopfhörer herunterzerrte.
»Verdammt, was tun denn Sie hier?«, fragte er.
»Ich habe heute früh angerufen. Dreizehn Uhr wäre recht, haben Sie gesagt. Es ist dreizehn Uhr. Niemand hat uns eingelassen, aber die Haustür war offen.«
Canney richtete sich auf, legte den CD-Player beiseite und wischte sich mit einem Handtuch den Schweiß ab. »Entschuldigen Sie. Meine Haushälterin hat heute frei, und ich habe wohl den zeitlichen Überblick verloren.«
»Kann jedem mal passieren«, meinte King. »Wir können warten, wenn Sie erst duschen möchten.«
»Nein, bringen wir es hinter uns. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es lange dauert. Setzen wir uns draußen hin. Limonade steht bereit.«
Sie betraten einen ausgedehnten Garten an der Rückseite der Villa, in dem es außer Zeugnissen ausgeklügelter Landschaftsgärtnerei einen Swimmingpool, einen Brunnen und ein Gartenhäuschen im Stil einer Blockhütte gab.
»Schön haben Sie’s hier«, bemerkte Michelle.
»Ja, im Garten fühle ich mich am wohlsten.«
»Es sieht alles noch ziemlich neu aus«, stellte King fest. »Sie wohnen noch nicht lange in diesem Haus, oder? Erst seit rund drei Jahren, stimmt’s?«
Canney musterte ihn mit scharfem Blick, während er an der Limonade nippte. »Woher wissen Sie das?«
»Amtliche Unterlagen sind genau das, was ihr Name sagt, nämlich amtlich. Und was Sie betrifft, haben Sie sich inzwischen vom Buchhalterdasein zur Ruhe gesetzt.«
»Mich zwanzig Jahre lang mit anderer Leute Geld befassen zu müssen kam mir
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