Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
wie Schuldige freigesprochen wurden und Unschuldige hinter Schloss und Riegel kamen, und meist konnte ich nichts dagegen tun. Im Fall von Junior gründet sich meine feste Überzeugung, dass er dieses Verbrechen nicht begangen hat, auf einen simplen Grund: Der arme Kerl würde überhaupt nicht wissen, was er mit Bargeld, Inhaberschuldverschreibungen und Schmuck im Wert von zweihunderttausend Dollar anfangen sollte, genauso wenig, wie ich in einem Vierer mit Steuermann zur olympischen Silbermedaille rudern könnte.«
Michelle sah ihn überrascht an, weil ihr genau das gelungen war.
»Ja, meine Liebe«, sagte Harry, »ich habe mich über Sie informiert. Ich hoffe, das stört Sie nicht.« Er tätschelte ihre Hand. »Auf jeden Fall ist unzweifelhaft erwiesen, dass Junior als Dieb ein Stümper ist. Vor Jahren hat er Autobatterien für Lastwagen aus einer Werkstatt gestohlen, ließ sie aber dummerweise auf der Ladefläche seines Pick-ups stehen, als er zu derselben Werkstatt fuhr, um das Fahrzeug reparieren zu lassen. Dieser kleine Patzer brachte ihm sechs Monate Haft ein und beweist seinen Mangel an Begabung für das Diebstahlgewerbe.«
»Vielleicht hat er im Laufe der Jahre dazugelernt«, sagte King.
»Als selbstständiger Handwerker geht es ihm so gut wie nie. Auch seine Frau verdient ordentlich. Sonst könnten sie sich das neue Haus in Albemarle gar nicht leisten. Warum also sollte er versuchen, die Battles auszurauben?«
»Vielleicht sind ihm die Kosten für sein neues Haus über den Kopf gewachsen. Aber selbst wenn Junior es nicht war, gibt jemand sich alle Mühe, ihn zu belasten. Warum?«, sagte King.
Harry war auf diese Frage vorbereitet. »Er hat dort gearbeitet, also würde der Verdacht ohnehin sofort auf ihn fallen. Die betreffende Person hätte sich jederzeit sein Werkzeug, seine Schuhe, seine Arbeitshose und die Handschuhe aus dem Wohnwagen besorgen können, in dem Junior mit seiner Familie lebt. Der Wohnwagen steht mitten im Nirgendwo, und häufig ist keiner zu Hause.« Nachdenklich setzte er hinzu: »Allerdings ist der Fingerabdruck beunruhigend. Nur ein Routinier konnte so etwas fingieren.«
»Wie groß ist seine Familie?«, fragte Michelle.
»Drei Kinder, das älteste zwölf, soviel ich weiß. Seine Frau heißt Lulu Oxley.«
»Lulu Oxley?«, wiederholte Michelle.
»Sie leitet einen Nachtclub namens Aphrodisia . Sie hat mir gesagt, dass sie inzwischen sogar einen Anteil an dem Etablissement besitzt.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«, sagte Michelle. »Das Aphrodisia ?«
»Ich selbst war natürlich noch nie dort, aber es soll keine schmuddelige Bar mit Nackttänzerinnen, Separées und dergleichen sein. Angeblich ist es dort recht nett.«
»Stimmt«, sagte King.
Michelle sah ihn an. » Du warst schon mal dort?«
Er wand sich. »Nur ein einziges Mal. Bei einer Junggesellenparty für einen Freund.«
»Aha«, sagte Michelle.
King beugte sich vor. »Junior kann die Aktion also nicht allein bewältigt haben. Aber was ist, wenn jemand anders die Planung übernommen hat? Jemand, der wusste, dass Junior Zugang zum Haus der Battles besitzt, und der ihn dazu angestiftet hat? Die Beweise sind eindeutig.«
Harry ließ sich nicht beirren. »Viele Beweise sprechen gegen ihn. Zu viele.«
King wirkte nicht überzeugt. »Okay. Also, was sollen wir für Sie tun?«
»Reden Sie mit Junior. Hören Sie sich seine Geschichte an. Besuchen Sie die Battles.«
»Und wenn wir nichts Entlastendes finden?«
»Dann rede ich selbst mit Junior. Wenn er dann immer noch behauptet, unschuldig zu sein, bleibt mir keine andere Wahl, als die Sache durchzuziehen. Aber wenn die Staatsanwaltschaft ein vernünftiges Angebot zur Strafminderung macht, werde ich mit Junior darüber sprechen müssen. Er war schon einmal im Gefängnis und möchte diese Erfahrung nicht wiederholen.«
Er gab King eine Aktenmappe mit sämtlichen Unterlagen. Sie besiegelten den Auftrag, und Harry nahm Michelles Hand. »Dass ich endlich diese reizende junge Frau kennen gelernt habe, Sean, rechtfertigt jedes Honorar, das Sie mir in Rechnung stellen.«
»Wenn Sie so weitermachen, werde ich rot, Harry.«
»Das fasse ich als Kompliment auf.«
»Ich liebe diesen Mann«, sagte Michelle, als sie das Büro verließen.
»Sehr gut. Denn die Begegnung mit ihm könnte das einzig Angenehme sein, das wir von diesem Fall zu erwarten haben.«
Kings Handy klingelte. Nachdem er die Verbindung getrennt hatte, sagte er: »Das war Todd. Fahren wir.«
»Wohin?«,
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