Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
dem Zweck, die Hintergründe zu verschleiern. Dadurch sollte uns der Blick getrübt werden. Wäre Steve Canney allein gewesen, wäre ein zweiter Mord wie der an Diane Hinson geschehen, um die Verbindung zu Bobby zu vernebeln. So erklärt sich auch, dass der Mörder in dem Brief, den er nach Ermordung der Teenager geschrieben hat, den Begriff ›Junge‹ statt ›Jugendliche‹ benutzt. Er hatte es nämlich nur auf einen abgesehen: Steve Canney.«
»Aber wenn der Mörder uns tatsächlich auf diese Weise von den richtigen Spuren ablenken will, warum hat er dann einige der Armbanduhren um eine Minute später gestellt?«, sagte Michelle. »Hätten alle auf der vollen Stunde gestanden, wärst du wahrscheinlich nie auf diese Gedanken gekommen.«
»Irgendwie habe ich das Gefühl, der Bursche möchte fair sein und uns wenigstens einen kleinen Hinweis geben.«
»Oder er veräppelt uns«, sagte Michelle.
»Kann sein, aber das bezweifle ich.«
Nach wie vor wirkte Michelle skeptisch. »Na schön, gehen wir mal davon aus, das alles stimmt so. Dann haben wir Bobby als möglichen gemeinsamen Nenner. Du nimmst jedoch an, dass er nicht von demselben Mörder getötet wurde. Wäre es nicht ein zu großer Zufall, wenn wir es mit einem weiteren Täter zu tun hätten? Außerdem bleiben Kyle Montgomery und Sally. Wie passen diese Todesfälle ins Bild?«
»Kyle könnte Selbstmord begangen haben, auch wenn Sylvias Feststellungen dagegen sprechen. Und Sally könnte ermordet worden sein, weil sie mit Juniors Alibi hinterm Berg gehalten hat.«
»Diese Überlegung kann ich nicht nachvollziehen, Sean«, gestand Harry.
»Falls Junior umgebracht wurde, weil er die Battles bestohlen hat, musste der Täter erkennen, dass er Junior grundlos ermordet hat, als er von dessen Unschuld erfuhr. Der Mörder rächte sich, indem er Sally tötete, und in seiner krankhaften Vorstellung übte er damit gleichzeitig Rache für Junior. Vielleicht hat er auf seine Erkennungszeichen – die Armbanduhr und die Nachahmung berüchtigter Serienmörder – verzichtet, weil er zu wütend war, oder weil er Sally für zu unwichtig hielt, und weil ihm für die Planung nur wenig Zeit geblieben ist. Sally hatte mir die Wahrheit kaum sieben Stunden vor ihrer Ermordung gebeichtet.«
»Tja, dass er ihr das Gesicht zerschmettert hat«, folgerte Michelle, »passt durchaus zur Rache-Theorie. So handelt jemand, der sich in rasende Wut steigert.«
»Genau. Ein Mann, der zu roher Gewalt fähig ist und…« King verstummte. »Sieben Stunden…«
»Was denn, Sean?«, fragte Harry.
»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte King nach kurzem Nachdenken. »Die Erwähnung dieser sieben Stunden hat bei mir irgendetwas ausgelöst…« Er überlegte noch einen Augenblick angestrengt; dann schüttelte er den Kopf. »Tut mir Leid, ist wahrscheinlich bloß ein vorzeitiges Symptom der Verkalkung.«
»Und wie stehen wir zu Chip Baileys Theorie«, fragte Michelle, »dass Sally hinsichtlich ihres Zusammenseins mit Junior gelogen und in Wahrheit den Einbruch selbst begangen oder dabei geholfen hat?«
Harry runzelte die Stirn. »Eine bemerkenswerte Vorstellung.«
»Sicher«, bestätigte King. »Und wir können sie bis auf weiteres nicht verwerfen. Aber er irrt sich, ich hab’s im Urin.«
Sie setzten die Mahlzeit fort und leerten auch die zweite Flasche Wein. Danach tranken sie in der Bibliothek Kaffee, den Harry selbst einschenkte. Er bot Kognak dazu an, doch King und Michelle lehnten ab.
»Ich muss noch nach Hause fahren«, sagte King. »Der Wein hat mir gereicht.«
»Und ich muss auf ihn aufpassen, während er fährt«, fügte Michelle mit einem Lächeln hinzu.
In der Bibliothek war es kühl geworden, und Michelle stellte sich an den Kamin, um ihre langen Beine zu wärmen. »In einem Kleid kann einem ziemlich kalt werden«, sagte sie verlegen.
Harry wandte sich an King. »Was halten Sie von Dorothea?«
»Die Droge, die Eddie außer Gefecht gesetzt hat, war weder im Wein, noch sind im Haus irgendwelche von den Pillen gefunden worden, die Dorothea von Kyle Montgomery bekommen hat«, erklärte King. »Aber ich habe mit Sylvia Rücksprache genommen. Das Eddie verabreichte Morphinsulfat ist in ihrer Apotheke auf Lager, daher lässt sich nicht ausschließen, dass Montgomery auch dieses Zeug im Aphrodisia an Dorothea verscherbelt hat. Und Dorothea fehlt für Montgomerys Todeszeitpunkt ein Alibi. Sie behauptet, daheim gewesen zu sein, aber Eddie hat sie nicht gesehen.«
»Er war die ganze
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