Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
schwindelerregender Geschwindigkeit vorüber, dass er sich übergeben hätte, wäre ihm Gelegenheit zu näherem Hinschauen geblieben.
Hinter ihm trat auch der Verfolger so entschlossen aufs Gas, dass er gut 180 fuhr und sich in gefährlich geringem Abstand hielt. Auf längeren Geraden zog King jedes Mal davon, doch der Verfolger ließ sich nicht abschütteln, sondern schoss in den Kurven immer wieder mit dröhnendem Motor heran. King fuhr am Limit. Verringerte er die Geschwindigkeit, drohte der Verfolger sie umzubringen; behielt er das Tempo bei, brachte der Wagen sie früher oder später um.
Michelle fasste die Scheinwerfer des Verfolgers ins Auge und ließ den Blick dann hinauf zum Umriss des Fahrers gleiten. Sie schob sich vorwärts, stützte den rechten Ellbogen auf den Oberrand des Kofferraums, nahm die Pistole in beide Hände und zielte.
Beim Erreichen eines weiteren kurvigen Straßenabschnitts bremste King energisch und verlangsamte auf 80, obwohl die Verkehrsschilder 40 vorschrieben, doch die Straßenplaner hatten bei ihren Sicherheitsberechnungen vermutlich keine mordlüsternen SUV-Fahrer in Betracht gezogen. Die Geschwindigkeitsverringerung ermöglichte dem Verfolger ein zügiges Aufholen. »Er rückt uns wieder auf die Pelle«, warnte King. »Und schneller kann ich nicht, sonst überschlagen wir uns.«
»Versuch den Wagen ruhig zu halten. Wenn er nicht aufgibt, zerschieße ich ihm die Vorderreifen.«
Der SUV kam auf zehn, dann auf fünf Meter heran. Der Fahrer musste sehen, dass Michelle ihn ins Visier genommen hatte, und doch ließ er nicht locker, sondern trat abermals aufs Gas. Das Fahrzeug röhrte heran.
King bemerkte es und folgte dem Beispiel des Verfolgers. Wieder schoss der Lexus vorwärts, doch der SUV blieb dicht hinter seinem Heck. King krümmte sich vor Anspannung und presste beide Füße aufs Gaspedal, als glaubte er, auf diese Weise die so dringend benötigte Beschleunigung erzwingen zu können.
Was er nicht erwartet hatte, war ein Rudel Wild, das sich in genau diesem Augenblick zum gemächlichen Überqueren der Landstraße entschloss.
»Achtung!«, brüllte King. Er riss das Lenkrad wild nach links, dann nach rechts. Während die Rehe fluchtartig auseinander stoben, kam der Lexus von der Straße ab und schrammte an einer Leitplanke entlang. Das schrille Kreischen des Metalls ging King durch Mark und Bein. Schlitternd gelangte der Lexus zurück auf die Fahrbahn. King, zitternd und schweißüberströmt, warf einen gehetzten Blick nach hinten. Der SUV-Fahrer hatte auf die Bremse getreten, um nicht mit den Rehen zu kollidieren, war jedoch auf der Straße geblieben. Nun jagte er von neuem auf den Lexus zu.
King blieb nicht mehr genug Zeit, um ausreichend zu beschleunigen. Zudem weckte das sonderbare Heulen des Motors den Verdacht, dass die Leitplanke mehr Unheil angerichtet hatte als bloß einen Blechschaden. Die Tachonadel war auf unter 160 gefallen, und das Tempo ließ sich nicht mehr erhöhen.
»Halt dich fest«, rief Michelle. »Da kommt der Drecksack!«
Sie feuerte zweimal, als der SUV den Lexus erneut rammte und den zerbeulten Überrest der Heckstoßstange neben die Fahrbahn schleuderte. Der Anprall warf Michelle in Richtung des Fahrzeughecks. King sah neben sich ihre Beine nach hinten fliegen, bekam mit der freien Hand einen Fußknöchel zu fassen, schlang mit aller Kraft den Arm um Michelles Wade und hielt sie eisern fest. Augenblicke später gelangten sie erneut auf einen geraden Straßenabschnitt, und irgendwie schaffte es King, dem Wagen eine wieder etwas höhere Geschwindigkeit zu entlocken und den SUV nochmals abzuhängen.
»Scheiße!«, schrie Michelle.
»Bist du verletzt?«
»Nein, ich hab auf ihn geschossen und meine Pistole verloren. Verdammter Mist, ich hatte die SIG fünf Jahre lang.«
»Vergiss die Knarre. Der Kerl will uns ins Jenseits befördern.«
»Aber hätte ich noch meine Pistole, könnte ich ihm zuvorkommen! Ich weiß nicht, ob er getroffen ist, aber er hat uns genau in dem Augenblick gerammt, als ich abgedrückt habe und… Moment mal…«
»Was ist?«
»Da ist sie! Meine Pistole ist an der Kante des Heckspoilers. Sie hat sich da verkeilt.«
»Komm bloß nicht auf die Idee…«
»Halt mein Bein fest, ich komme fast ran!«
»Verflucht noch mal, Michelle, das ist Selbstmord!«
King konzentrierte sich so sehr auf seine Partnerin, dass er erst im letzten Augenblick bemerkte, dass der SUV sie einholte und plötzlich neben ihnen
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