Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
erschien.
»Festhalten!«, brüllte er und schaltete so brutal herunter, dass das Getriebe krachte. Fast glaubte er zu hören, wie es auseinander gerissen wurde und seine Einzelteile sich auf der Straße verteilten. Er verringerte die Geschwindigkeit auf 40 und trat mit beiden Füßen auf die Bremse. Der Wagen schlingerte, die Reifen qualmten, und King spürte den Anpressdruck bis in die Zehen. Michelle hatte sich mit aller Kraft an eine hintere Kopfstütze geklammert und die nackten Füße gegen den Fahrersitz gestemmt.
Kings Körper nahm die Misshandlungen so übel, dass er vermutete, ein Herzinfarkt könnte noch die harmloseste Auswirkung sein. Wieder knirschte und krachte das Getriebe, als er den Rückwärtsgang einlegte; dann trat er das Gaspedal durch, brachte den Motor – oder was davon übrig war – auf Hochtouren und fuhr in einem Höllentempo in Gegenrichtung.
Auch der SUV hatte so hart gebremst, dass seine Reifen in Flammen zu stehen schienen, solche Rauchwolken stiegen auf. Der Fahrer wendete den Wagen um 180 Grad, beschleunigte und hielt mit rasanter Schnelligkeit auf den Lexus zu. Der Kühlergrill des SUV ähnelte gebleckten Zähnen, die den Sportwagen verschlingen wollten. Jede Umdrehung der Räder brachte ihn näher heran.
Michelle stellte ihre Bemühungen ein, an die verkeilte Pistole heranzukommen, und schaute ihren Partner an, der beim Fahren nach hinten blickte. »Du kannst unmöglich rückwärts schneller fahren als er vorwärts, Sean!«
»Gut, dass du mich daran erinnerst.« Seine Fingerknöchel verfärbten sich rotblau, so krampfhaft packte er das Lenkrad. »Halt dich ganz fest! Wenn ich ›jetzt‹ rufe, schlag ich seitwärts ein.«
»Du bist verrückt!«
»Ja!«
King hatte die Absicht, aus der schnellen Rückwärtsfahrt heraus eine Hundertachtziggraddrehung zu vollführen – voraussichtlich auf zwei Rädern –, blitzschnell den Gang zu wechseln und in Gegenrichtung davonzujagen. Und das alles musste binnen weniger Sekunden ablaufen, vorzugsweise, ohne dass es sie das Leben kostete.
Der Schweiß lief King übers Gesicht, als er nun all seine Hoffnung darauf setzte, dass seine Secret-Service-Ausbildung sich so viele Jahre später noch auszahlte. Mit einer Hand klammerte er sich an die Wagentür, um das Gleichgewicht zu halten, stemmte zur Absicherung den linken Fuß auf den Fahrzeugboden, schätzte den richtigen Augenblick ein, rief: »Jetzt!« und drehte ruckartig das Lenkrad, ließ es dann für einen Augenblick los und packte es wieder mit beiden Händen. Das Manöver gelang ihm perfekt. Er übersprang die ersten beiden Gänge, gab Gas und jagte den Wagen vorwärts.
Doch es dauerte bloß fünf Sekunden, bis der SUV ihm wieder im Nacken saß und aufholte.
Inzwischen drang Qualm aus der Motorhaube des Lexus, und jede Anzeige des Armaturenbretts, auf die Kings Blick fiel, kündete vom nahenden Ende. Das Tempo sank auf 100, dann auf 80. Es war aus.
»Sean, da kommt er wieder!«, schrie Michelle.
»Ich kann nichts mehr machen, verflucht!«, brüllte King, dessen Hoffnungslosigkeit von einem Moment zum anderen in Wut umschlug.
Der SUV röhrte vorbei, verlangsamte und rammte sie mit seinen zweieinhalb Tonnen Gewicht von der Seite. King ließ eine Faust am Lenkrad und die andere Hand fest um den Fußknöchel Michelles, die sich erneut bemühte, an die Waffe zu kommen. Kings Fingernägel ritzten Blut aus ihrer Haut, so fest hielt er ihr Bein gepackt. Sein Arm und die Schulter wurden fast unerträglich verrenkt, und er biss vor Schmerz die Zähne zusammen, weil Michelles volles Körpergewicht seine Sehnen dehnte.
»Ich hab die Waffe!«, schrie sie plötzlich.
»Umso besser, der Schweinehund kommt wieder ran. Halt dich fest!«
Er drehte den Kopf und sah den schwarzen SUV im selben Augenblick heranrasen, als Michelles Fuß sich in seiner Faust drehte.
»Was soll…« King blieb keine Zeit, den Satz zu beenden. Der SUV knallte gegen das Heck des Lexus, und nun trat das ein, was King seit langem befürchtete. Der Wagen begann zu schlingern; dann geriet das Fahrzeug außer Kontrolle und schleuderte um 360 Grad.
»Festhalten!«, brüllte King mit heiserer Stimme, als ihm ein Schwall Magensäure bis hinauf zur Gurgel schwappte. Als Secret-Service-Agent hatte er das Manövrieren verschiedenster Fahrzeuge unter schwierigsten Bedingungen trainiert. Ermutigt durch das geglückte Wendemanöver, ließ er sich nun vom Gespür leiten. Anstatt zu versuchen, gegen die Eigenbewegung des
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