Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
Geheimfach könnte jemand ein Testament entwendet haben – nämlich um uns irrezuführen. Nach meiner Auffassung haben Harry und Remmy eng zusammengearbeitet. Sie wollten an das Foto gelangen, mussten aber den Eindruck eines Einbruchs erwecken, bei dem Remmys Wertsachen gestohlen wurden. Meiner Theorie zufolge hat Remmy ihm den Hausschlüssel und den Kode des Sicherheitssystems überlassen. Wahrscheinlich wussten sie nicht, dass die Alarmanlage einen digitalen Speicher hat. Diesen Speicher habe ich ohne Remmys Wissen eingesehen. Um ein Uhr dreißig an dem Morgen, an dem der Einbruch verübt wurde, hat jemand, der den Zugriffscode kannte, die Anlage abgeschaltet. Bisher hat niemand sich für den Speicher interessiert, weil jeder davon ausging, es wäre ein Einbrecher am Werk gewesen.«
»Sie haben also das Foto an sich gebracht…«
»… und mussten dann nur noch eines tun.«
»Bobby Battle töten«, folgerte Michelle. Ihre Stimme klang plötzlich brüchig. »Ich kann’s nicht fassen, Sean. Ich kann es einfach nicht glauben. Doch nicht Harry…«
»Betrachte die Sache mal aus Harrys Warte. Die Frau, die er liebte, war mit einem Scheißkerl verheiratet. Denk daran, dass Harry sich am Morgen nach Bobbys Ermordung in der Klinik aufgehalten hat. Er hat uns weisgemacht, die Klinik hätte ihn hinbestellt, weil er sie als Anwalt vertritt.«
»Soll das heißen, er ist gar nicht ihr Rechtsberater?«
»Doch, aber er ist nicht in die Klinik bestellt worden. Er war unaufgefordert dort und hat es so eingerichtet, dass wir ihm begegnet sind, als wir gehen wollten. Er sei ein alter Freund Bobbys, hat er uns gesagt. Und gefragt, ob wir Remmy gesehen hätten. Alles nur, um jeden möglichen Verdacht im Keim zu ersticken.«
»Was hat sich deiner Meinung nach in der Mordnacht abgespielt?«
»Remmy hat die Klinik gegen zweiundzwanzig Uhr verlassen. Sie gab Harry ein Zeichen, der vermutlich auf dem Parkplatz im Auto saß und Klinikkleidung trug. Als Rechtsberater der Klinik kennt er die Uhrzeiten des Schichtwechsels. Er geht hinein, verstellt die Kamera, spritzt das Gift in den Beutel, legt falsche Fährten und verschwindet.«
»Aber Remmys Anwesenheit wirft doch einen Verdacht auf sie. Wieso hätten sie es auf diese Weise machen sollen? Warum hat Remmy sich dort blicken lassen?«
»Deshalb haben sie ja vorgetäuscht, der Serienmörder wäre der Täter. Ich habe mich kundig gemacht. Remmy war schon reich, bevor sie Bobby beerbte. Insofern hatte sie kein Motiv. Und ihre Anwesenheit sollte der Allgemeinheit vorspiegeln, sie wäre in eine Falle gelockt worden. Anfangs konnte man sie für verdächtig halten, aber mit der Zeit hätten die Leute anders gedacht. Hätte Remmy es getan, hätten sie sich gesagt, wäre sie bestimmt nicht so dumm gewesen, sich in der Mordnacht in der Nähe des Krankenzimmers erwischen zu lassen.«
»Und welche Pläne verfolgen Remmy und Harry? Eine Zeit lang abzuwarten und dann zu heiraten?«
»Nein, ich könnte mir vorstellen, dass Remmy nach einer gewissen Zeit fortzieht. Später folgt Harry ihr, und am Ende treffen sie sich vielleicht auf einer privaten Insel in Griechenland.«
Michelle atmete tief ein und ließ den Atem langsam entweichen. »Und was sollen wir jetzt unternehmen?«
»Wir essen mit Remmy und Harry zu Abend.«
»Was? Soll das ein Witz sein?«
»Nein, wir essen wieder bei Harry.« King beugte sich vor. »Ihnen ist ein Fehler unterlaufen, Michelle, ein belangloser Fehler zwar, aber es reicht. Dank eines kleinen Überwachungsgeräts, das ich in D.C. gekauft habe, liegen mir alle erforderlichen Beweise vor.«
»Wissen Todd oder Bailey darüber Bescheid?«
»Nein, wir sind die Einzigen. Natürlich kann ich niemals billigen, was Harry und Remmy getan haben, aber ich finde, sie haben es verdient, dass wir den Fall so diskret und anständig wie möglich handhaben.«
»Wann?«, fragte Michelle.
»Morgen um neunzehn Uhr. Harry ist bis morgen Nachmittag auswärts beschäftigt. Wir werden nur zu viert sein. Sobald sie erkennen, dass wir die Wahrheit wissen und Beweise haben, werden sie zweifellos ein Geständnis ablegen und ohne Aufsehen mit uns kommen, und dann übergeben wir sie Todd.«
»Irgendwie habe ich ein schlechtes Gefühl dabei, Sean. Ein richtig schlechtes Gefühl…«
»Glaubst du, mir gefällt das? Harry war in Virginia am Obersten Gerichtshof tätig und über Jahre hinweg ein guter Bekannter.«
»Ich weiß, aber…«
»Wie sympathisch Harry uns auch sein mag, wir
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