Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
sein Sohn ist im Halbschlaf und vergisst die kurze Unterhaltung. Oder dass niemand dem Jungen Glauben schenkt, wenn er davon redet. Sie sind doch Anwalt. Ein Strafverteidiger könnte mit einem kindlichen Zeugen Schlitten fahren.«
King schwieg verdrossen. Bailey beobachtete ihn aufmerksam. »Ihre Partnerin hat erwähnt, Sie hätten gesonderte Nachforschungen betrieben. Haben Sie was herausgefunden?«
In der Frage des FBI-Agenten klang gerade genug Häme an, um bei King den Wunsch zu wecken, den Mann zu erwürgen. Als würde Michelle es spüren, legte sie ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. »Nur die Ruhe«, flüsterte sie.
»Ist das die Stelle, wo ich sagen muss: Du kannst mich mal, Michelle?«, raunte King, stand auf und sagte: »Nun, wenn er der Täter ist , gratuliere ich Ihnen. Halten Sie uns auf dem Laufenden.« Er holte sein Deputy-Abzeichen heraus. »Soll ich die Dienstmarke abgeben, Chef?«
»Nein. Offiziell ist der Fall noch nicht abgeschlossen. Erst brauchen wir ein Geständnis oder weitere Indizien.«
»Gut, momentan ist es mir nämlich recht, Deputy zu sein. Es könnte sich vorteilhaft auswirken.«
Er verließ das Konferenzzimmer.
»So was nennt man kollegial«, sagte Bailey.
Sofort fühlte Michelle sich zu Kings Verteidigung bemüßigt. »Es steht noch nicht mit absoluter Sicherheit fest, dass Robinson der Täter ist.«
»Aber es kann nicht mehr lange dauern«, entgegnete Bailey.
Michelle stand auf, um ebenfalls zu gehen.
»Ach, Michelle«, fügte Bailey hinzu, »seien Sie doch so nett und informieren Sie uns auch weiterhin über die Fortschritte, die Sie beide machen. Ganz bestimmt erweisen sie sich als bahnbrechend für die Ermittlungen.«
»Das ist die geistreichste Bemerkung, die ich von Ihnen gehört habe, seit ich Sie kenne, Chip.«
Michelle folgte King auf dem Weg nach draußen. »Was denkst du?«, fragte sie ihn.
»Sollen sie Robinson doch einsperren. Im Gefängnis ist er wahrscheinlich sicherer.«
»Aber du hältst ihn nicht für den Täter?«
»Ich weiß , dass er nicht der Täter ist.«
»Dann kennst den wahren Mörder?«
»Ich komme ihm allmählich auf die Spur. Hast du eine Gelegenheit gefunden, noch mal mit den Battles zu sprechen?«
»Bis jetzt nicht. Soll ich es trotzdem versuchen?«
King überlegte einen Moment, wobei er mit den Fingern auf die Motorhaube ihres Wagens trommelte.
»Nein, wir kürzen das Verfahren ab. Die Zeit wird immer knapper.«
»Du meinst, dass der Kerl weitermordet?«
»Er hat alles so arrangiert, dass die Polizei denkt, der Mörder säße im Knast. Das ist sozusagen sein Abgesang. Allerdings besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Robinson für mindestens einen der Morde ein Alibi hat. Aber je länger wir warten, umso geringer wird die Aussicht, den wahren Mörder zu überführen.«
»Warum soll Robinson hinter Gittern bleiben, wenn der wahre Täter deiner Meinung nach nicht die Absicht hat, weitere Morde zu begehen?«
»Würde man Robinson freilassen, würde man ihn sehr bald mit einer Kugel im Kopf in einer Gasse finden, da bin ich sicher. Und in seiner kalten, toten Hand hält er gut sichtbar einen Zettel, auf dem fein säuberlich steht: Ich war es.«
»Und was fangen wir nun an?«
King öffnete die Tür des Wagens. »Es ist höchste Zeit, dass wir zuschlagen. Wollen wir hoffen, wir treffen ins Schwarze.«
KAPITEL 85
Die Liste, die er in Junior Deavers Wohnwagen abgeschrieben hatte, war halb durchgearbeitet. Der Rest brauchte Zeit, doch er hatte sich eine Atempause verschafft. Harold Robinson war von der Polizei verhaftet worden. Insofern war es tatsächlich ein Glücksfall gewesen, dass Tommy aufgewacht war und im Elternhaus, wie die Zeitungen berichteten, seinen Vater zu sehen geglaubt hatte. Diese Aussage und das Auffinden der Gegenstände aus dem Besitz der ersten fünf Opfer galten als Bestätigung dafür, dass nur Harold Robinson als Täter für die Mordserie in Frage kam. Genau das war die Absicht des wahren Killers gewesen. Ob es dabei blieb, wusste er nicht. Falls Robinson auch nur für einen der Morde ein Alibi hatte, konnte das gesamte Täuschungsmanöver misslingen, doch bis dahin hatte er Zeit, seine Ziele zu verfolgen. Immerhin war Robinsons Frau tot, und sie wäre zur wichtigsten Zeugin für das Bewegungsprofil ihres Mannes geworden. Infolgedessen würde es schwierig für die Polizei werden, seine Alibis zu überprüfen. Eine Tötung plante der Mörder noch. Doch es sorgte ihn nicht, dass die Polizei
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