Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
will, Sean?«
Als Eddie den Innenhof betrat, schützte King Sylvia mit dem Körper.
»Ich mag Sie, Sean, wirklich. Ich bin nicht sauer auf Sie, weil Sie es waren, der mich überlistet hat. Wir haben einen netten kleinen Zweikampf der Gehirne ausgetragen. Ich hatte mir schon gedacht, dass nur Sie in Frage kämen. Deshalb habe ich versucht, auf Ihrem Hausboot Sie und Michelle aus dem Weg zu räumen.«
»Warum ersparen Sie uns nicht eine Menge Aufwand und stellen sich der Polizei? Gleich vor der Haustür steht ein Deputy.«
»Nein«, berichtigte Eddie. »Er sitzt vor der Zufahrt in seinem Streifenwagen. Solange das Gewitter tobt, kann ich Sie beide erschießen und danach eine Party feiern, ohne dass der Bursche etwas merkt.«
»Na schön, und wohin führt das Ganze?«
»Es führt dahin, dass Sie mich begleiten. Wir machen einen Ausflug auf den See.«
Langsam senkte King eine Hand und presste sie auf die Seitentasche seines Jacketts, in der sich sein neues Handy befand.
»Auf den See?«, fragte Sylvia. »Bei dem Gewitter ist das Selbstmord!«
Durch den Stoff spürte King das Tastenfeld. Beschäftige ihn, Sylvia. Lenk ihn ab.
»Und über den See können Sie nirgendwohin fliehen«, fügte Sylvia hinzu, als hätte sie Kings Gedanken gelesen.
»Ich will nicht fliehen«, sagte Eddie. »Diese Absicht habe ich schon lange aufgegeben.«
King drückte hastig die Kurzwahl-Rufnummer und betätigte die Anruftaste.
»Verflucht noch mal, Eddie, das ist doch Wahnsinn«, rief er, als er hörte, dass ein »Hallo?« aus dem Handy drang. »Was soll das? Verlegen Sie sich jetzt auf Entführungen?«
»Ja, ich bin es leid, immer nur zu morden. Gehen wir.«
»Wir steigen nicht in Ihr Boot. Basta.«
Eddie richtete das Laserzielgerät auf Sylvias Stirn. »Dann erschieße ich sie gleich hier an Ort und Stelle. Sie haben es in der Hand, Sean. Mir ist es wirklich scheißegal.«
»Es genügt doch«, sagte King, »wenn ich Sie begleite.«
»Mein Plan sieht es aber anders vor, alter Freund. Sie kommen beide mit.«
»Wollen Sie uns nicht sagen, wohin?«
»Und die Überraschung verderben?« In diesen schrecklichen Augenblicken sahen King und Sylvia sich der Kaltblütigkeit eines Mannes gegenüber, der neun Menschen ermordet hatte. »Vorwärts, und zwar sofort!«
Michelle war in Eddies Atelier gegangen, nachdem sie Savannah wieder sich selbst überlassen hatte, um sich dort ein letztes Mal umzuschauen. Natürlich glaubte sie nicht, dass der Flüchtige in der Nähe seines Wohnsitzes lauerte; hier wimmelte es von bewaffneter Polizei, und Eddie war kein Dummkopf. Doch während Michelle sich nun Bild um Bild ansah, drängte sich ihr die Frage auf, wie Eddie solch schöne Gemälde geschaffen haben konnte. Es erschien ihr unmöglich, dass ein und derselbe Geist zugleich einem begabten Künstler und irren Mörder gehörte. Michelle erschauderte, als sie daran dachte, dass sie sogar etwas für Eddie empfunden hatte. Was sagte das über ihr Urteilsvermögen aus? Über ihre Wahrnehmung anderer Menschen? Konnte sie jemals wieder ihrem Gespür trauen? Diese Gedanken schlugen ihr auf den Magen. Mit einem Mal verspürte sie Schwindel und Übelkeit; sie stützte die Unterarme auf die Knie und kämpfte gegen das Verlangen, sich einfach auf den Boden sinken zu lassen.
Wie konnte ich nur so blind sein?
Doch sie wusste, was für einige der berüchtigtsten Mörder der Weltgeschichte galt: Dass sie nicht wie Killer aussahen und auch keine Verhaltensauffälligkeiten zeigten. Dass sie charmant und humorvoll waren; Menschen, die man spontan gern mochte. Das war der furchterregendste Aspekt. Sie sind Menschen wie du und ich.
Michelle richtete sich auf, als ihr Handy läutete. Sie meldete sich, erhielt aber keine Antwort. Doch plötzlich hörte sie Kings Stimme etwas rufen. Obwohl sie nur ein einziges Wort verstand, fuhr es ihr durch Mark und Bein.
»Eddie!«
Während Michelle ins Handy lauschte und sich darüber klar zu werden versuchte, was am anderen Ende der Verbindung geschah, sah sie sich um, bemerkte neben einer Staffelei ein Telefon und rief sofort Todd Williams an.
»Um Gottes willen!«, stieß Williams hervor, als Michelle geendet hatte. »Aber Sean wurde doch von einem Deputy begleitet.«
»Der Mann kann längst tot sein.«
»Bin schon unterwegs.«
»Ich auch.«
Michelle hielt das Handy ans Ohr gedrückt, während sie zurück zum Casa Battle eilte. Sie stürmte in ihr Zimmer, griff sich die Autoschlüssel und rannte ins Freie. Gerade
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