Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
King und Michelle stiegen aus dem Wagen.
Polizeichef Williams stand an der Treppe vor dem Haus und begrüßte sie, bevor sie das Gebäude betraten.
Williams wirkte noch tiefer erschüttert als im Leichenschauhaus. Er ging gekrümmt wie ein alter Mann, und seine Schritte waren schwer. »Verdammt«, sagte er. »Womit habe ich das verdient?«
»Wurde Diane Hinson eindeutig identifiziert?«, fragte King.
»Ja. Wieso? Kennen Sie die Frau?«
»Wir sind beide Anwälte, und die Stadt ist klein.«
»Haben Sie sie näher gekannt?«
»Nicht genug, um bei den Ermittlungen helfen zu können. Wer hat sie gefunden?«
»Sie sollte heute früh in ihrer Kanzlei eine eidesstattliche Erklärung vorbereiten. Als sie nicht erschien, haben ihre Kollegen sie zu Hause und über Handy angerufen. Sie ging nicht ran. Daraufhin haben sie jemanden vorbeigeschickt. Ihr Auto stand in der Garage, aber niemand schien das Klingeln an der Tür zu hören. Weil sie sich Sorgen machten, haben sie die Polizei gerufen.« Williams schüttelte den Kopf. »Es war derselbe Täter, der auch Tyler, Pembroke und Canney auf dem Gewissen hat, kein Zweifel.«
Michelle entging nicht, wie sicher er sich war. »Haben Sie einen Brief bekommen, in dem es um das Pärchen geht?«
Williams nickte, zog einen Zettel aus einer Tasche und reichte ihn Michelle. »Hier ist eine Fotokopie. Verdammte Zeitung! Offenbar hat niemand sich getraut, den Brief zu öffnen, weil er an Virgil adressiert war, der aber ein paar Tage nicht in der Stadt war. Und so was nennt sich Reporter!«
»War der Brief genauso kodiert wie das erste Schreiben?«, fragte King.
»Nein, er kam so an, wie er ist. Und ohne Symbol auf dem Umschlag.«
»Das war’s dann also mit der Zodiac-Theorie.« King blickte Michelle an. »Was steht drin?«
Sie überflog den Brief und las dann vor: »›So, das war die Nächste. Es kommen noch mehr. Ich habe euch schon beim ersten Mal gesagt, dass ich nicht der Z-Mann bin. Aber ihr glaubt wahrscheinlich, dass der Junge im Zeichen des Z dran glauben musste. Überlegt noch mal genau. Ich habe das Hundehalsband nicht deshalb dagelassen, weil der Hund mich dazu getrieben hat. Ich habe nicht mal einen Hund. Ich wollte es ganz allein machen. Und noch mal nein, er bin ich auch nicht. Bis zum nächsten Mal. Es wird nicht lange dauern. Kein SOS.‹«
Sie blickte King verwirrt an.
»Hundehalsband? Wozu sollte der Hund ihn getrieben haben?«
»Dafür bist du zu jung, Michelle«, erwiderte King. »›SOS‹ und ›der Hund hat mich dazu getrieben‹. Das steht für Son of Sam, David Berkowitz, den Killer von New York City in den Siebzigern. Er wurde auch der Knutschecken-Killer genannt, weil einige seiner Opfer junge Paare waren, die in ihren Autos getötet wurden.«
»Genauso wie Steve Canney und Janice Pembroke«, sagte Michelle.
Williams nickte. »Berkowitz sagte, sein Nachbar wäre eine Art Dämon, der seine Mordbefehle durch seinen Haushund übermitteln ließ. Was natürlich völliger Blödsinn war.«
»Aber unser Mann weiß genau, was er tut«, sagte King. »Er hat es erklärt.«
Michelle schüttelte den Kopf. »Ich verstehe es immer noch nicht. Warum kopiert er den Stil früherer Morde wie ein Nachahmungstäter und schreibt dann Briefe, in denen er klarstellt, dass er sich nicht damit identifiziert? Ich meine, die Nachahmung ist doch die aufrichtigste Form der Schmeichelei, nicht wahr?«
»Wer weiß«, sagte Todd Williams. »Jedenfalls hat er die beiden Teenager getötet.«
King sah den Polizeichef an und blickte dann wieder auf den Brief. »Moment mal… Das hat er nicht gesagt. Er hat ›das war die Nächste‹ geschrieben.«
»Vielleicht hat er nur die letzten Buchstaben vergessen und ›das waren die Nächsten‹ gemeint«, sagte Williams.
»Der Singular ist ziemlich eindeutig. Außerdem schreibt er später ausdrücklich ›der Junge‹.«
William kratzte sich an der Wange. »Ich weiß nicht, ob Sie einem Psycho-Killer mit solcher grammatischen Haarspalterei kommen können.«
»Wenn es Absicht war – warum unterscheidet er dann zwischen den beiden?«, fragte Michelle.
Williams stieß einen tiefen Seufzer aus und zeigte auf die Treppe. »Kommen Sie mit nach oben, und sehen Sie’s sich an. Ich glaube aber nicht, dass dadurch irgendetwas klarer wird. Und ich brauche keinen verdammten Brief, um mir erklären zu lassen, wen er diesmal nicht nachzuahmen versucht.«
Sie stiegen ins Obergeschoss und betraten das Schlafzimmer. Diane Hinson lag noch genauso
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