Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
sich, wie viel die Angelegenheit wert sein könnte, und gelangte zu der Erkenntnis, es jetzt noch nicht sagen zu können. Er warf einen Blick auf seine neue Gitarre, die er sich mit einer Stunde Arbeit verdient hatte. Eine Stunde! Während er im Job für Peanuts schuftete! Aber das gehörte vielleicht schon bald der Vergangenheit an.
Er steckte den Brief in einen Umschlag, adressierte ihn, ging zum Briefkasten an der nächsten Ecke und warf das Schreiben ein. Als die Metallklappe zurückfiel, überlegte Kyle eine Schrecksekunde lang, ob er gerade einen schrecklichen Fehler begangen hatte. Dann aber verflogen alle Sorgen, als sich ein viel stärkeres Gefühl in den Vordergrund schob: Habgier.
Sie warteten fünfundvierzig Minuten. Bailey wollte sich schon auf den Weg machen, um jemanden vom Hauspersonal zu suchen, als Savannah endlich in die Bibliothek geschlurft kam.
Im Gegensatz zur Mutter, die wie Stein und Eis gewesen war, wirkte die Tochter wie ein brennendes Foto, das sich im nächsten Moment einrollen und auflösen würde.
»Hallo, Savannah«, sagte King. »Wir müssen uns für die erneute Belästigung entschuldigen.«
Falls sie etwas darauf erwiderte, hatte es niemand gehört. Sie stand nur da, in ausgebeulter Jogginghose und einem T-Shirt von William and Mary, unter dem sie keinen BH trug. Sie war barfuß, ihr Haar zerzaust. Ihre Nase und die Wangen waren gerötet, sodass es den Anschein hatte, sie wäre mit dem Gesicht in ein Rouge-Döschen gefallen. Und sie kaute auf den Fingernägeln.
»Möchten Sie sich nicht setzen, Savannah?«, fragte Bailey.
Die junge Frau hatte sich nicht von der Stelle gerührt und starrte auf den Boden. Schließlich stand Michelle auf, führte sie zur Couch, goss ihr eine Tasse Kaffee ein und reichte sie ihr. »Trinken Sie«, sagte sie mit Nachdruck.
Savannah umschloss die Tasse mit beiden Händen und nahm einen kleinen Schluck.
Die darauf folgende Befragung erwies sich als unergiebig. Wenn Savannah auf eine Frage antwortete, waren ihre Worte ein kaum verständliches Gemurmel. Wenn sie aufgefordert wurde, ihre Antwort zu wiederholen, murmelte sie erneut. Sie war an dem Tag, als ihr Vater gestorben war, gegen Mittag ins Krankenhaus gefahren, um ihn zu besuchen. Zumindest das konnten sie nach mehreren mühsamen Anläufen in Erfahrung bringen. Savannah war etwa eine halbe Stunde geblieben und wieder gegangen, ohne jemanden gesehen zu haben. Ihr Vater war während dieser Zeit nicht bei Bewusstsein gewesen. Bailey und die anderen machten sich gar nicht erst die Mühe, Savannah zu fragen, ob sie sich vorstellen könne, dass jemand ein Motiv haben könnte, ihren Vater zu töten. Dazu wäre eine geistige Klarheit nötig gewesen, zu der das Mädchen im Moment nicht in der Lage war. In der Nacht, als Bobby Battle starb, war sie zu Hause gewesen, konnte aber nicht sagen, ob jemand sie gesehen hatte.
Als Savannah das Zimmer verließ, berührte Michelle Kings Arm. »Du hattest Recht. Papas Lieblingstochter ist schwer erschüttert.«
»Fragt sich nur, aus welchem Grund.«
Kurz drauf erhielt Chip Bailey einen Anruf, der ihn zu einem raschen Aufbruch veranlasste.
King und Michelle folgten ihm zur Haustür, wo King zu ihm sagte: »Wir bleiben noch eine Weile hier. Sie wissen schon, Kleinkram für Deputys.«
Bailey wirkte nicht gerade begeistert, hatte aber keinen Grund zum Widerspruch.
»Es macht dir Spaß, ihn zu ärgern, nicht wahr?«, sagte Michelle, nachdem der FBI-Agent gegangen war.
»Ich versuche die kleinen Freuden des Lebens zu genießen, wo es mir möglich ist.«
King und Michelle kehrten in die Bibliothek zurück. Mason räumte gerade das Geschirr ab.
»Ich helfe Ihnen«, sagte King und schob die Kaffeetassen zusammen, wobei er eine umstieß und den Inhalt verschüttete. »Tut mir Leid«, sagte er und wischte die Bescherung mit einer Serviette auf.
»Vielen Dank«, sagte Mason, als er das Tablett aufnahm. Sie folgten ihm in die riesige Küche, die mit allem Zubehör ausgestattet war, das ein Koch benötigte, um gewöhnliche Nahrungsmittel in Kunstwerke zu verwandeln.
King pfiff leise. »Ich habe mich bei den Feiern, an denen ich teilgenommen habe, schon öfter gefragt, wie die Battles es schaffen, all die wundervollen Gerichte aufzutischen.«
Mason lächelte. »Mrs Battle legt größten Wert darauf, dass alles nur vom Feinsten ist.«
King hockte sich auf eine Tischkante. »Es ist gut, dass Sie noch wach waren, als Remmy an jenem Abend nach Hause kam. Nach allem, was
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