Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
Wainwright.«
»Die Pferdepflegerin?« Auf Harrys Gesicht spiegelte sich Ratlosigkeit.
Michelle schnippte mit den Fingern. »Sean, an dem Tag, als wir das erste Mal mit Sally gesprochen haben, hast du sie gefragt, ob sie Junior kennt. Sie sagte, sie würde ihn vom Sehen kennen, aber du hast gleich gemerkt, wie nervös und ausweichend sie geredet hat.«
»Stimmt«, bestätigte King.
»Sie geht ans Grab eines Menschen, den sie nur vom Sehen kannte?«
»Ich muss mich wohl ein zweites Mal mit Sally unterhalten«, sagte King.
Harry gab mit einer Geste zu verstehen, King und Michelle sollten auf der Couch gegenüber vom Kamin Platz nehmen. Er selbst blieb vor ihnen stehen. »Für meine Begriffe steht eindeutig fest, dass der falsche Verdacht auf Junior gelenkt worden ist – und zwar von jemandem, der sich mit polizeilichen Ermittlungsmethoden auskennt.«
»Wie gehen wir weiter vor?«, fragte Michelle.
Ohne die Frage zu beantworten, blickte Harry auf eine altmodische Taschenuhr, die an einer dünnen Kette über seiner Weste hing.
»Das ist ein schönes Stück, Harry«, sagte Michelle.
»Sie hat meinem Großvater gehört. Da ich keinen Sohn habe, verwahre ich sie für meinen ältesten Neffen.« Liebevoll betastete er die schwere Uhr. »In dieser verworrenen Welt ist es ein Trost, die Tageszeit noch auf die gleiche Weise wie vor hundert Jahren ablesen zu können.« Er klappte den Deckel der Uhr zu und sah Michelle und King scharf an. »Also, inzwischen wird unten jeder ein paar Gläschen getrunken haben«, sagte er und kam dann auf Michelles Frage zurück. »Darum schlage ich vor, wir mischen uns unter die beschwipste Gesellschaft, um zu beobachten und zu lauschen. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass der Mörder sich im Haus aufhält. Vielleicht können wir an Informationen gelangen, durch die sich weitere Morde verhindern lassen.«
Sie beendeten die Besprechung und kehrten ins Erdgeschoss zurück.
KAPITEL 51
Unten hatten sich währenddessen mehrere seltsame Paarungen ergeben. Auf der verglasten rückwärtigen Terrasse konnte man Savannah mit den beiden jüngsten Oxley-Kindern sehen. Anscheinend spielte sie mit ihnen ein Spiel, bei dem es unter anderem darum ging, sich am Ohr zu ziehen und Grimassen zu schneiden. Die ältere Oxley-Tochter lehnte in der Ecke und sah zu, ohne zu lächeln.
»Scharade«, lautete Michelles Schluss. »Ich hätte nicht gedacht, dass Savannah es versteht, kleinen Kindern die Zeit zu vertreiben.«
»Ich habe den Eindruck«, sagte King, »in ihrem Innern ist sie in mancher Hinsicht jünger, als die Leute glauben.«
In einer hinteren Ecke des Wohnzimmers waren Chip Bailey und Dorothea in ein leises Gespräch vertieft. In der Nähe stand Eddie und führte eine anscheinend tiefsinnige Unterhaltung mit Todd Williams, der zwar nicht am Begräbnis teilgenommen hatte, aber offensichtlich die anschließende Verköstigung nicht versäumen wollte.
Plötzlich kamen Remmy und Lulu Arm in Arm die Treppe herunter. Alle Blicke richteten sich auf die Frauen.
»Wieso fühle ich mich bloß an Lee und Grant nach der Schlacht bei Appomattox erinnert?«, raunte Harry.
Chip Bailey ließ unverzüglich Dorothea stehen und schnürte zur Treppe, zu Remmy. Mason, der sich bislang mit Servieren beschäftigt hatte, folgte ihm auf den Fersen.
»Kaum liegt der Hausherr unter der Erde«, merkte Harry an, »tauchen die Hyänen auf.«
»Auch Chip Bailey?«, fragte Michelle. »Hätte ich nicht gedacht. Eddie sagte, seine Mutter könne den Kerl nicht ausstehen.«
»Zum Ehemann einer steinreichen Frau aufzusteigen ist eine Aussicht«, erklärte King mit trockenem Humor, »die zumindest den Versuch lohnt, die Dame für sich einzunehmen.«
Remmy jedoch hegte offenbar ganz andere Absichten. Sie rauschte an beiden Männern vorüber, strebte auf King und seine Korona zu und bedachte Harry mit einem Nicken, als sie vor ihnen stand. »Ich weiß, dass Sie und Lulu sich kennen, Harry, darum spare ich mir die Vorstellung.«
King glaubte, ein Augenzwinkern bei Remmy zu beobachten.
»Es freut mich, dass Sie mit ihr Bekanntschaft geschlossen haben, Remmy«, erwiderte Harry. »Und wie es scheint, eine durchaus angenehme.«
»Sagen wir mal, Lulu und ich sind zu einer Übereinkunft gelangt.« Remmy schaute Lulu an und drückte ihr die Hand. »Ich war dumm, verblendet und ungerecht, und ich habe es Lulu eingestanden.« Sie blickte der Frau fest ins Gesicht. »Keine von uns kann den Ehemann ins Leben zurückholen, aber ich
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