Sean King 03 - Im Takt des Todes
Regierung wollte nicht, dass jemand von den Gefangenen dort erfuhr.«
»Warum?«, hakte Horatio nach. »Was war an denen denn so besonders?«
South richtete den Finger auf ihn und grinste. »Das ist die Hunderttausend-Dollar-Frage.«
»Offenbar haben Sie sich eingehend damit beschäftigt. Was glauben Sie?«
»Es ist ziemlich offensichtlich. Wenn die Gefahr bestand, dass wir irgendwelche Geheimnisse aus diesen Jungs rausquetschen oder ihnen Enigma-Codebücher abknöpfen, hätten Hitler und seine Bastarde Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie zu töten. Und glauben Sie ja nicht, dass es damals nicht genug deutsche Spione und Mörder hier gegeben hätte. In jedem Fall hat sich die Waagschale im Atlantikkrieg in dem Augenblick zu unseren Gunsten geneigt, als die Gefangenen in Camp Peary aufgetaucht sind. Deshalb wette ich darauf, dass sie über Enigma geplaudert haben.«
»Was ist nach dem Krieg mit den Gefangenen passiert?«
»Ich nehme an, einige von denen sind nach Deutschland zurückgekehrt. Nach dem Krieg hat es ja auch keinen Sinn mehr gemacht, sie festzuhalten. Aber ich glaube, es sind nicht alle zurückgegangen. Da drüben gab’s ja nur noch Staub, Trümmer und Chaos. Außerdem hat man sie für tot gehalten. So manch einer ist wohl einfach in Amerika geblieben.«
Während Horatio diese Information verdaute, fuhr South mit seiner Erzählung fort. Der Krieg war zu Ende; die Navy ging, und das Land wurde in einen Staatsforst mitsamt Naturschutzgebiet verwandelt. Im Jahre 1951 kehrte die Navy dann wieder zurück, und seitdem hatte die Öffentlichkeit keinen Zugang mehr zu dem Gebiet.
»Die CIA hat den Laden im Juni 1961 übernommen, obwohl er noch immer offiziell als Militärbasis geführt wurde. Eine ziemliche Ironie, wenn man darüber nachdenkt – das Datum, meine ich.«
Horatio war wieder ganz Ohr. Sean hatte ihm erzählt, dass auch Monk Turing etwas von »Ironie« gesagt hatte, als er mit Len Rivest beim Angeln an Camp Peary vorbeigerudert war.
»Eine Ironie? Warum?«
»Es war zwei Wochen nach dem CIA -Fiasko in der Schweinebucht auf Kuba. Damals hat die Navy offiziell erklärt, sie würde eine neue Anlage auf dem Gelände bauen. Ein paar ihrer Ausbildungseinrichtungen wie die Sprengstoffschule hat die Navy dann in andere Einrichtungen verlegt. Aber das war alles gequirlte Scheiße. Ich bin sicher, dass Camp Peary im Juni 1961 zur wichtigsten Spionageschule der CIA geworden ist. Die Katastrophe in der Schweinebucht war ihnen peinlich, und das war auch richtig so. Ich nehme an, deswegen brauchten sie einen Ort, wo sie ihre Leute erst einmal vernünftig ausbilden konnten, bevor sie zum Einsatz kamen. Ja, unmittelbar nach der Schweinebucht … aber das ist nicht die einzige Ironie.«
»Nicht?«
»Ich sagte ja bereits, dass der Ort nach einem General der Konföderierten benannt worden ist. Nun, dieser General, ›Prince John‹ Magruder, war während des Krieges ein Meister der Täuschung, und jetzt ist der Ort, der seinen Namen trägt, die Heimat für Menschen, die mit Lügen ihren Lebensunterhalt verdienen.«
»Ich verstehe. Das ist tatsächlich eine Ironie«, pflichtete Horatio ihm bei. Aber was hatte das damit zu tun, was Monk an jenem Tag zu Rivest gesagt hatte? »Sonst noch etwas?«
South Freeman schaute sich um, obwohl sie offensichtlich allein waren. »Eigentlich wollte ich das schon Ihren Freunden erzählen, hab mich dann aber anders entschieden. Aber was soll’s? Es gibt einen Teil von Camp Peary, von dem die meisten Leute keine Ahnung haben. Vielleicht nicht mal die Leute, die dort arbeiten.«
»Und woher wissen Sie davon?«
»Diese Leute müssen essen, und ihre Büros müssen geputzt werden. Nun, ich kenne viele Köche und Putzfrauen. Und wissen Sie was? Die meisten von denen haben die gleiche Hautfarbe wie ich. Es ist doch immer dieselbe Scheiße.«
»Fahren Sie fort«, ermunterte ihn Horatio.
»Im Camp gibt es eine so genannte ›Black Area‹, und ich spreche jetzt nicht von Leuten, die so aussehen wie ich. Dort findet die geheime Seite der amerikanischen Diplomatie statt.«
»Geheimdiplomatie?«
»Ja. Da ist ständig was los. Ausländische Staatsführer, Agenten, Rebellen, Diktatoren, selbst Terroristen, die zufällig gerade auf unserer Seite sind, werden von irgendwoher mit diesen Flugzeugen eingeflogen, die Sie immer wieder sehen. Sie müssen nicht durch den Zoll. Niemand weiß, dass sie überhaupt je hier waren, und die Treffen haben offiziell nie stattgefunden.
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