Sean King 03 - Im Takt des Todes
hatte ich nicht das Recht, dich in diese Sache hineinzuziehen.«
Michelle packte ihn an der Schulter. »Sean, du darfst nicht gehen, nicht allein! Sie werden dich töten!«
Sean hockte sich auf die Fersen und fummelte an seiner Maske herum, ohne seine Partnerin anzuschauen.
»Ich muss gehen, Michelle. Dafür gibt es viele Gründe.«
»Aber es ist zu gefährlich.«
»Das sind die meisten Dinge im Leben, die es wert sind, dafür zu sterben.« Er schaute über den Fluss hinweg. »Da drüben geht irgendetwas Übles vor sich, und ich muss herausfinden, was es ist. Ich muss sie aufhalten.«
»Sean, bitte«, sagte Michelle und klammerte sich an ihn.
Sean streifte seine Maske über und bereitete den Rest der Ausrüstung vor. »Wenn ich am Morgen nicht zurück bin, schnapp dir Hayes und sag ihm, was passiert ist.« Sanft löste er ihren Griff. »Es wird alles gut, Michelle. Ich bin bald wieder da.«
Sean ließ sich in den Fluss gleiten und war verschwunden. Michelle saß am Ufer und starrte auf die Wellen, bis die Wasseroberfläche sich wieder beruhigt hatte. Sie hatte sich noch nie so allein gefühlt. Und sie hatte sich noch nie so geschämt. Langsam legte sie sich auf die nasse Erde, schaute in den bewölkten Himmel hinauf und spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen rannen.
In den Wolken sah Michelle Dinge – schreckliche Dinge aus längst vergangenen Jahren. Sie nahmen die Gestalt von Kreaturen aus den Albträumen an, die sie seit Jahren plagten und die sie weder erklären konnte noch verstand. Und inmitten dieser Gestalten sah sie ein kleines, furchtbar verängstigtes Mädchen, das die Hand um Hilfe ausstreckte, doch keine erhielt. Michelle war ihr Leben lang Einzelgängerin gewesen, größtenteils, weil sie sich nicht überwinden konnte, jemandem zu vertrauen, jedenfalls nicht völlig. Und doch gab es eine Person, die sich ihren Respekt und ihr Vertrauen mehr verdient hatte als jeder andere. Einen Menschen, der ihr bewiesen hatte, dass er im wörtlichen Sinne alles tun und opfern würde, um ihr beizustehen. Und diesen Mann hatte sie gerade allein in die Wasser des York gleiten lassen und auf eine offensichtliche Selbstmordmission geschickt.
Michelle konnte das nicht zulassen. Scheiß doch auf das, was in ihrem Kopf vorging. Sean würde sich dieser Sache nicht ohne sie stellen müssen. Wenn sie schon untergingen, dann gemeinsam.
Die Wolkenbilder lösten sich plötzlich auf. Michelle schnappte sich ihre Ausrüstung und stieg in den Fluss.
79.
E in paar Fuß unter der Wasseroberfläche des York bewegte sich Sean mit Hilfe seines Tauchmotors mit Leichtigkeit durchs Wasser, während er gleichzeitig effiziente Paddelbewegungen mit den Flossen machte. Der Sauerstoff kam aus einem kleinen Lufttank unterhalb seines Gesichts; außerdem hatte er sich eine wasserdichte Tasche umgeschnallt. Der Einbruch in Camp Peary war größtenteils improvisiert. Es gab Millionen Möglichkeiten, dass etwas schiefging; deshalb waren die Aussichten, dass alles reibungslos verlief, äußerst gering.
Das Wissen um den Titel des Songs, Shenandoah , hatte Sean verraten, dass er auf der richtigen Spur war. Shenandoah County war einst Dunmore County gewesen. Es war ein subtiler Hinweis gewesen, doch erst einmal entdeckt, deutete er in nur eine Richtung: zu Dunmores Jagdsitz Porto Bello auf dem Gelände von Camp Peary. Das musste auch Monk Turings Ziel gewesen sein. Um herauszufinden, warum, musste Sean dem Weg des Mannes folgen – einem Weg, der zu Turings Tod geführt hatte.
Sean erreichte das Ufer ein Stück von der Stelle entfernt, an der Monk Turing gefunden worden war. Er hoffte, dass Horatios Bootstour die Aufmerksamkeit der Sicherheitsleute ablenken würde. Außerdem hoffte Sean noch darauf, dass die CIA nicht damit rechnete, dass so kurz nach Turings Tod auf dem Gelände wieder jemand so dumm sein würde, hier einzudringen … auch wenn das eine schwache Hoffnung war.
Eine Taschenlampe zu benutzen kam nicht in Frage; also holte Sean das Nachtsichtgerät aus der Tasche und schaltete es ein. Sein Sichtfeld verwandelte sich in ein verwaschenes Grün, aber wenigstens konnte er so etwas sehen.
Sean robbte an Land, nachdem er den Tauchmotor unter einem Strauch am Ufer versteckt hatte. Der Zaun, der Punkt ohne Wiederkehr, lag unmittelbar vor ihm. Sean holte ein kleines Gerät heraus, das nur einem einzigen Zweck diente: Es registrierte jede Form von Energie. Er richtete es auf den Zaun. Ein grünes Licht blinkte und signalisierte
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