Sean King 03 - Im Takt des Todes
Stationsapotheke stehen. Sie schaute durch das vergitterte Fenster und sah einen kleinen, kahlköpfigen Mann in weißem Kittel, der Medikamente sortierte. Als er den Blick hob und zu Tür schaute, lächelte Michelle ihn an, doch der Mann wandte ihr wieder den Rücken zu und machte mit seiner Arbeit weiter.
»Wie du willst«, murmelte Michelle vor sich hin. » Du bekommst schon mal keine Weihnachtskarte von mir.«
»Na, wieder auf Wanderschaft?«, fragte eine Stimme.
Michelle fuhr erschrocken herum. Barry stand hinter ihr.
»Hier gibt’s ja nicht viel anderes zu tun«, sagte sie.
»Oh, da fallen mir aber schon ein paar Dinge ein. Übrigens, Sie sehen besser aus als in den letzten Tagen.«
»Danke.«
»Ich habe gesehen, dass Sie beim Mittagessen mit Sandy gesprochen haben«, bemerkte Barry.
»Ja. Nette Frau.«
»Ich würde mich vor ihr in Acht nehmen.«
»Oh … Kennen Sie sie gut?«
»Sagen wir mal, ich kenne Leute wie Sandy. Die können Ärger machen. Und Sie wollen doch keinen Ärger, oder?«
»Ich versuche immer, Ärger aus dem Weg zu gehen«, log Michelle.
»Braves Mädchen«, sagte Barry grinsend. »Übrigens, sollten Sie je etwas brauchen, zögern Sie nicht, mich zu fragen.«
»Was sollte ich denn brauchen?«
Die Frage schien Barry zu erheitern.
»Nun, jeder hat gewisse … Bedürfnisse.« Er schaute sich um, trat näher an Michelle heran und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: »Ich weiß, wie verdammt einsam es für eine heiße Braut wie dich hier werden kann.«
» So einsam werde ich mich nie fühlen«, sagte Michelle und ließ Barry einfach stehen.
Sandy hatte recht: In Barrys Fall konnte man das Buch schon am Umschlag erkennen.
Später an diesem Nachmittag erschien Horatio Barnes und setzte sich Michelle gegenüber.
»Kein Rekorder heute?«, fragte sie.
Horatio tippte sich an die Schläfe. »Ich habe heute meine Vitamine genommen, deshalb ist alles hier drin. Ich habe übrigens mit Ihrem Bruder gesprochen.«
Ein besorgter Ausdruck erschien auf Michelles Gesicht. »Was haben Sie ihm erzählt?«
»Genug, um ihn auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen.«
»Haben Sie ihm von der Kneipe erzählt?«
»Warum hätte ich ihm erzählen sollen, dass Sie in eine Bar gegangen und zufällig in eine Schlägerei mit Rodney dem Riesen geraten sind?«
»Lassen Sie den Quatsch. Haben Sie es ihm erzählt oder nicht?«
»Ich war mehr daran interessiert, was Ihr Bruder mir über Sie zu erzählen hatte.« Horatio schlug sein Notizbuch auf. »Er hat gesagt, Sie seien ein wahres Energiebündel und hätten einen unbändigen Ehrgeiz. Einen ›atmenden, sprechenden Tornado‹ hat er Sie genannt. Ich bin sicher, es war liebevoll gemeint.«
»Bill ist bekannt für seine Übertreibungen.«
»Oh, ich glaube, seine Beschreibung war ziemlich zutreffend. Er hat noch mehr Interessantes gesagt.«
»Und was?«
»Raten Sie mal.«
»Lassen Sie diese Spielchen. Sagen Sie’s mir einfach.«
»Als Mädchen waren Sie ordentlich bis zur Besessenheit, hat er mir verraten. Alles sei immer an seinem Platz gewesen. Die anderen hätten sich sogar über Ihren Ordnungsfimmel lustig gemacht, aber dann – bumm! – trat bei Ihnen eine Persönlichkeitsveränderung ein, wie sie größer nicht sein kann.«
»Und was ist so bemerkenswert daran? Früher war ich ordentlich, heute bin ich schlampig. Das ist bei vielen Menschen so. Was ist daran so sensationell?«
»Sie haben recht. So was kommt vor. Aber nicht über Nacht, wie bei Ihnen, und schon gar nicht im zarten Alter von sechs Jahren. Wären Sie ein Teenager gewesen, hätte ich nicht mal mit der Wimper gezuckt. Es gibt da nämlich ein Chromosom, das verrückt spielt, wenn man die dreizehn oder vierzehn überschritten hat. Dieses Chromosom sagt Ihnen: ›Du kannst ruhig im Chaos leben, und wenn deine Eltern dir drohen, dich rauszuwerfen, wenn du keine Ordnung schaffst, dann sag ihnen, sie können dich mal.‹ Deshalb frage ich mich, warum das bei Ihnen viel eher passiert ist, lange bevor dieses Chromosom normalerweise ausflippt.«
»Das ist so lange her, wen kümmert das noch?«
»In Ihrem Fall ist die Zeit nicht so sehr von Bedeutung. Viel wichtiger ist, was damals in Ihrem Kopf vor sich ging.«
»Ach ja? Sollten wir nicht eher über meine Beziehung mit einem Mann reden, der eine Menge Leute umgebracht hat?«, erwiderte Michelle gereizt. »Ich bin zwar keine Psychiaterin, aber meinen Sie nicht auch, dass das viel eher damit zu tun haben könnte, dass ich
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