Sean King 03 - Im Takt des Todes
gelassen.«
»Wovon redest du? Er ist einfach verschwunden.«
»Er ist nach Tennessee gefahren.«
Michelles Miene verhärtete sich. Nach fast einer Minute des Schweigens fragte sie leise: »Was hat er denn in Tennessee gesucht?«
»Was glaubst du wohl?«
»Red nicht um den heißen Brei herum.«
»Okay. Er ist nach Tennessee gefahren, um den Ort zu finden, wo du im Alter von sechs Jahren gelebt hast.«
»Was? Diesen Schwachsinn glaube ich dir nicht!«
Keiner von beiden bemerkte, dass die anderen Leute im Raum sich zu ihnen umdrehten.
»Dein Bruder sagte, deine Persönlichkeit habe sich in dem Jahr abrupt verändert.«
»Ich war ein Kind! «
»Komm schon, Michelle. Was ist passiert?«
»Nichts! Erinnerst du dich noch daran, als du sechs Jahre alt warst?«
Mit einem Mal erkannte Sean, dass er alles nur viel schlimmer machte. Er mischte sich in Horatios Diagnose ein und stellte Michelle sehr persönliche Fragen … und das auch noch auf unglaublich unbeholfene Art, und obendrein vor Fremden. »Nein, das weiß ich nicht«, sagte er. »Tut mir leid.«
Sein reumütiger Tonfall schien Michelles Zorn ein wenig zu mildern. Beide schauten zu Viggie, die sie verunsichert beobachtete. Sofort setzte Michelle sich neben das Kind und legte ihm den Arm um die Schultern.
»Ist schon gut, Viggie. Das war nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. So ist es bei uns ständig.« Und an Sean gewandt: »Stimmt’s?«
Sean nickte. »Stimmt.« Er stand auf und gesellte sich zu den beiden.
Viggie trug einen Jeansoverall, und ihre Haare waren zu den typischen Zöpfen geflochten. Michelle bemerkte, dass das Mädchen sich die Fingernägel abgekaut hatte.
»Sie muss jetzt zum Unterricht«, sagte Sean. »Es gibt hier eine Schule für die Kinder der Angestellten. Sie ist im Herrenhaus.« Er senkte die Stimme. »Ich habe dafür gesorgt, dass ein Wachmann sie dorthin begleitet. Wir sind vor Schulschluss wieder da.«
»Wieder da? Wo gehen wir denn hin?«
»Du wirst schon sehen.«
45.
S ie setzten Viggie in der Schule ab. Bevor sie das Kind verließen, sprachen Michelle und Sean mit der Lehrerin, einer Frau mittleren Alters.
»Sie ist ein besonderer Fall«, sagte die Lehrerin über Viggie. »Aber an ihren guten Tagen ist sie die beste Schülerin, die ich je hatte.«
»Alicia Chadwick sagt, dass sie große Zahlen im Kopf faktorisieren könne«, sagte Sean.
»Stimmt. Können Sie sich vorstellen, Millionen, wenn nicht gar Milliarden von Ziffern vor dem geistigen Auge zu sehen?«
»Nein«, antwortete Sean. »Ich kann mir kaum die eigene Telefonnummer merken.«
Sie ließen Viggie bei ihrer Lehrerin und dem Wachmann und gingen hinaus. Im Flur trafen sie auf Alicia Chadwick.
»Viggie ist in der Schule sicher«, sagte Sean zu ihr und erzählte dann von Horatio. »Vielleicht kann er ihr ja helfen.«
»Wobei? Über den Tod ihres Vaters hinwegzukommen?« Alicia warf Sean einen scharfen Blick zu. »Oder bei etwas anderem?«
»Alicia, falls Viggie irgendetwas über Monks Tod weiß, müssen wir es herausfinden. Und je schneller wir das tun, desto unwichtiger wird Viggie für den potenziellen Mörder.«
»Also gut«, sagte Alicia. »Machen wir es so.«
Als Sean und Michelle über das Gelände vor dem Herrenhaus gingen, erklärte er das System der »Baracken« und gab ihr eine Zusammenfassung seines Gesprächs mit Champ über den Quantencomputer. Schließlich standen sie vor Turings nun leerem Haus. »Unser mies gelaunter FBI -Agent Michael Ventris hat alles mitgenommen«, sagte Sean. »Aber ich lasse Joan überprüfen, wohin Monk gereist sein könnte.«
»Du hast gesagt, Alicia habe dir erzählt, er sei im Ausland gewesen.«
»Ja. Sie wusste nur nicht wo.«
Als Nächstes führte Sean sie zu Len Rivests Haus.
»Hast du Champs Alibi für die Nacht überprüft, in der Rivest ermordet wurde?«, fragte Michelle.
»Den Computerlogs zufolge hat er um halb zwölf in Baracke zwei eingecheckt und ist um drei Uhr morgens wieder gegangen. Der Mann, den ich um zwei Uhr gesehen habe, war also auf keinen Fall Champ.«
»Und da es so aussieht, als wäre Rivest bereits fünf Stunden tot gewesen, als du ihn gefunden hast, schließt das Champ als Täter aus.«
»Verdächtige kommen und gehen«, seufzte Sean.
Als Nächstes gingen sie zum Bootshaus. Mit dem Auge einer Expertin schaute Michelle sich die Wasserfahrzeuge an. »Nichts Ungewöhnliches, größtenteils Freizeitgondeln«, verkündete sie. Sie deutete auf einen acht Meter langen Formula
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