Sean King 03 - Im Takt des Todes
auf und lief zum Klavier im Nachbarzimmer. Aus der Dunkelheit hörten sie das Mädchen spielen.
Michelle drehte sich zu Sean um. »He, sie ist fantastisch!«
»Das ist Viggies Art, Ihnen zu zeigen, dass sie Sie mag«, erklärte Alicia.
»Warum war sie so aufgeregt?«, fragte Sean.
Mit leiser Stimme antwortete Alicia: »Dieser verdammte FBI -Agent, dieser Ventris, ist früher am Abend hergekommen. Er hat über Monks Tod geredet, und Viggie hat ihn gehört.«
»Verdammt!«, stieß Sean hervor.
»Sie hätten Viggie vor ein paar Stunden sehen sollen. Sie war untröstlich. Ich musste ihr die Wahrheit sagen. Ich konnte und wollte sie nicht mehr belügen. Anschließend habe ich unseren Arzt gebeten, mir ein Beruhigungsmittel für Viggie zu geben, aber offenbar hat die Wirkung inzwischen nachgelassen.«
»Was hat Ventris eigentlich hier gewollt?«, fragte Sean.
»Zuerst wollte er Viggie befragen, aber das habe ich ihm sehr schnell ausgeredet. Dann wollte er wissen, ob ich eine Ahnung habe, warum Monk nach Camp Peary gegangen ist und ob er vorher schon mal da gewesen war.«
Sean und Michelle schauten sich fragend an. »Mir hat man gesagt, das FBI gehe offiziell von einem Selbstmord aus«, sagte Sean.
Alicia versuchte, Viggie vom Klavier wegzuholen, doch sie weigerte sich. Erst als Michelle ihre Hand nahm, ließ sie sich die Treppe hinauf und ins Bett führen.
Nachdem sie Alicia eine gute Nacht gewünscht hatten, gingen Sean und Michelle in ihre Zimmer. Sean kam noch einmal zu Michelle herein und setzte sich auf ihr Bett, während sie noch auspackte.
»Mach dir keine Sorgen. Es wird nicht lange dauern, bis du auch hier Unordnung hereingebracht hast«, bemerkte Sean.
»Was bist du doch für ein Komiker. Sag mir lieber, was mit Alicias Bein passiert ist.«
Sean erzählte ihr von Alicias Erfahrungen im Irak und von ihrem Job hier in Babbage Town.
»Eine erstaunliche Frau«, sagte Michelle und fügte hinzu: »Es muss furchtbar für Viggie gewesen sein, auf diese Weise vom Tod ihres Vaters zu erfahren.«
»Ja, allerdings«, stimmte Sean ihr zu. »Ich …« Ein Summen unterbrach ihn. Sean seufzte und schaute auf sein Handy.
Michelle lächelte. »Lass mich raten. Die kleine Miss Joanie? Willst du sie schon wieder ignorieren?«
»Nein. Wenn ich ihr diesmal nicht antworte, kommt sie vermutlich geradewegs her.«
»Na, das wäre mal ein Spaß«, spottete Michelle und schob ihre Pistole unters Kopfkissen. »Vielleicht solltest du ihr dann lieber nicht antworten. Wenn sie plötzlich hier auftaucht, könnte ich sie ja ›versehentlich‹ erschießen und sagen, ich hätte sie für eine Raubkatze auf der Suche nach frischem Fleisch gehalten. Aber das wäre gelogen, denn sie ist eine Raubkatze, und wenn ich sie erschieße, wäre es kein Versehen.«
»Michelle, ich muss das jetzt mit ihr klären.«
»Mach nur. Aber dann will ich auch hören, wie du dieser Hexe Bescheid sagst.«
»Diese Hexe unterschreibt unsere Gehaltsschecks – zumindest meinen. Also werde ich die Sache in der tröstlichen Stille meines eigenen Zimmers regeln.«
»Feigling. Wirst du ihr sagen, dass ich auch hier bin?«
»Lass mich das erledigen, Michelle.«
»Warum scheuen Männer nur so sehr vor Konfrontationen zurück? Frauen haben keine Hemmungen, sich gegenseitig an die Kehle zu gehen.«
Nachdem Sean gegangen war, schlich Michelle auf den Flur hinaus und öffnete die Tür zu Viggies Zimmer. Das Mädchen saß im Dunkeln auf dem Bett. »Ich bin es. Mick«, sagte Michelle.
Mit schwacher Stimme antwortete Viggie: »Hi, Mick.«
»Möchtest du, dass ich mich ein wenig zu dir setze?«
Viggie streckte die Hand aus.
Michelle legte sich neben das verängstigte Kind in die Dunkelheit. Als die Hand des Mädchens die ihre berührte, sah Michelle bildhafte Bruchstücke einer fernen, unangenehmen Erinnerung: Ein anderes kleines, verängstigtes Mädchen saß mutterseelenallein im Dunkeln und versuchte, dem Unerklärlichen einen Sinn zu geben … Das Bild verschwand so schnell, wie es gekommen war, und ließ Michelle genauso verwirrt und ängstlich zurück wie das kleine Mädchen neben ihr.
43.
J oan Dillinger schrie ihn volle zwei Minuten lang an, obwohl es Sean noch länger erschien. Sie spielte sogar die Gewissenskarte aus.
»Ich habe mir den Hintern für dich aufgerissen, Sean. Und so dankst du es mir?«
»Ich habe nicht auf deine Anrufe reagiert, weil ich nichts zu berichten hatte. Wo liegt das Problem?«
»Das werde ich dir sagen. Mein Boss hat
Weitere Kostenlose Bücher