Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
Staaten sind in den letzten Jahren genau kartographiert worden. Deshalb ist sich das Labor mit dem Befund ja auch so sicher.«
»Konnten sie auch sagen, ob das Wasser aus einem Brunnen oder dem Wasserhahn stammt?«
»Das Wasser ist jedenfalls nicht gechlort«, antwortete Waters.
»Das deutet auf eine ländliche Gegend hin, korrekt?«
»Möglich, auch wenn einige größere Gemeinden ihr Wasser zumindest teilweise noch aus Brunnen beziehen. Ich weiß es, denn ich habe lange in so einer Kleinstadt gelebt.«
»Und haben Sie in Ihrer Kleinstadt auch viel tierische Fette und frisches Gemüse gegessen?«, fragte Sean.
Waters grinste. »Der, dem das Haar gehört, kommt vermutlich aus einer ländlichen Gegend, so viel dürfte feststehen. Trotzdem ist das Gebiet noch viel zu groß, um es abzudecken.«
»Aber diese Staaten passen nicht zu dem Coushatta«, bemerkte Michelle. »Texas oder Louisiana.«
»Die Coushatta stammen doch ursprünglich aus Alabama«, erklärte Sean.
»Ursprünglich ja, aber jetzt nicht mehr.«
»Können Sie das mit den Coushatta mal überprüfen?«, fragte Sean.
Waters nickte. »Ich werde sofort Agenten runterschicken, die sich darum kümmern sollen.« Er schaute von einem zum anderen. »Ist das alles, was Sie wissen?«
Sean leerte sein Glas und stand auf. »Das ist alles, was wert ist, geteilt zu werden.«
Sie ließen Waters mit seinem zweiten Bier allein und kehrten zum SUV zurück. Auf dem Weg summte Michelles Handy. Sie schaute aufs Display.
»Wer ist das?«, fragte Sean.
»Die Rufnummernabfrage zufolge ist es Tammy Fitzgerald.«
»Wer ist das?«
»Keine Ahnung.«
Michelle steckte das Handy wieder weg. »Du hast unserem Freund vom FBI gegenüber den Brief nicht erwähnt, die die First Lady bekommen hat«, sagte sie.
»Stimmt. Habe ich nicht.«
»Und warum nicht?«
»Weil ich ihr die Chance geben will, wieder zu Verstand zu kommen, bevor ich sie dem FBI zum Fraß vorwerfe, zumal das vermutlich auch noch dem Präsidenten den Wahlkampf versauen würde. Und bis jetzt hat er eigentlich einen ziemlich guten Job gemacht.«
»Willst du mich verarschen? Wen kümmert es, ob das politische Auswirkungen für das Präsidentenpaar hat oder nicht? Was, wenn ihre Aktionen Willa das Leben kosten? Ist es nicht unser Ziel, Willa zurückzuholen? Oder hast du Waters gerade nur Mist erzählt?«
Sean blieb stehen und wandte sich ihr zu. »Michelle, ich tue, was ich kann. Das ist ziemlich kompliziert. Verdammt kompliziert sogar.«
»Es ist nur kompliziert, wenn du es kompliziert machst. Ich habe es lieber einfach. Ich will nur Willa finden - egal wie.«
Sean wollte etwas erwidern, hielt dann aber inne und starrte über Michelles Schulter hinweg.
Michelle drehte sich um.
Auf der anderen Straßenseite gingen zwei Männer in Tarnanzügen über den Bürgersteig.
»Verdammt.«
Michelle schaute wieder zu Sean. »Verdammt was?«
»Du hast doch gesagt, der Kerl mit der MP5, den du gesehen hast, hätte einen Army-Körperpanzer getragen, stimmt's?«
»Stimmt.«
»Ja, stimmt«, sagte Sean.
53.
G abriel tat sein Bestes, nicht zu atmen. Der Junge hielt den großen Schlüsselbund in der Hand und lauschte vor jedem Schritt auf Geräusche aus den vielen Ecken und Winkeln von Atlee. Ein Teil von ihm fragte sich, warum er eigentlich tat, was er gerade machte. Der andere Teil kannte den Grund jedoch nur allzu gut: Neugier. Sam Quarry hatte Gabriel oft gesagt, Neugier sei etwas Gutes, denn das hieß, dass man lebte und sich fragte, was die Welt zu dem machte, was sie war. Gabriel glaubte allerdings nicht, dass Mr. Sam Neugier in diesem Fall gutheißen würde, denn Gabriel schlich sich gerade mitten in der Nacht in den Keller, um sich etwas anzuschauen, von dem Mr. Sam vermutlich wollte, dass niemand es sah.
Gabriel kam an dem alten Ofen vorbei, der in der Dunkelheit wie ein bedrohliches Ungeheuer aussah, jederzeit bereit und willens, kleine Jungen zu verschlingen. Dann sah er den alten Safe mit dem Zahlenrad, von dem die Zahlen längst verschwunden waren und dessen Bronzegriff man nach unten drücken musste, um die Tür zu öffnen. Gabriel hatte noch nie versucht, den Safe zu öffnen, aber oft darüber nachgedacht. Welches abenteuerlustige Kind würde das nicht tun?
Gabriel schlich weiter den Gang hinunter und versuchte, nicht zu viel von der modrigen Luft einzuatmen. An einem Ort wie Atlee konnte niemand längere Zeit verbringen, ohne eine Schimmelallergie zu entwickeln. Dennoch ging Gabriel tapfer
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