Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
ich Ihren Vater nicht sehr gut, aber er ist mir immer wie ein Mann erschienen, der etwas unternommen hätte, hätte er davon gewusst.«
»Ja, so erscheint er mir auch. Danke, Nancy. Erzählen Sie erst mal niemandem sonst davon, okay?«
»Sicher. Wenn Sie es wollen.«
»Ich würde es wirklich zu schätzen wissen.«
»Ich habe selbst vier erwachsene Töchter, von denen zwei geschieden sind. Ich weiß, wie so etwas passieren kann. Das Leben ist niemals vollkommen. Als Ihre Mutter mir davon erzählt hat, habe ich sie nachdrücklich ermahnt, sich mit diesen Männern nicht mehr zu treffen. Ich möchte, dass Sie das wissen. Ich habe ihr gesagt, sie soll wieder zu ihrem Mann zurück und mit ihm reden. Wie gesagt, kenne ich ihn nicht gut, aber ich wusste, dass er ein guter Mann ist. Er hat das nicht verdient.«
»Nancy, Sie sind ein Juwel.«
»Nein. Nur eine Mutter, die das alles schon gesehen hat.«
Michelle legte auf und schaute zu Sean. »Kein Wunder, dass ich nicht ganz richtig im Kopf bin, stimmt's?«
»Ich halte dich eigentlich für ziemlich gesund«, erwiderte Sean.
»Warum wolltest du nicht, dass sie zur Polizei geht?«
»Ich weiß nicht. Bauchgefühl.«
»Und was tun wir jetzt?«, fragte Michelle.
»Bis wir von meinem Zwei-Sterne-Freund hören, haben wir nicht viel zu tun. Wie wäre es mit einem kleinen Trip nach Nashville, um das zu überprüfen?«
Rasch fanden sie heraus, dass der nächste Flug nach Nashville erst am nächsten Tag ging, es sei denn, sie wollten über Chicago und Denver fliegen, wobei sie die meisten Zeit in Wartesälen verbringen würden.
»Ach ja, die Fliegerei ist schon was Schönes«, seufzte Sean und legte auf, nachdem er sich die Optionen angehört hatte. »Um nach Süden zu kommen, können wir uns aussuchen, ob wir erst nach Norden oder nach Westen wollen.«
»Ach, scheiß drauf. Lust auf eine kleine Spritztour?«, fragte Michelle.
»Mit dir immer.«
Sie kauften sich ein paar Sandwiches und zwei große Becher Kaffee und machten sich um acht Uhr abends auf den Weg. Von unterwegs hatte Michelle ihren Bruder Bill angerufen und erfahren, dass ihre Brüder bereits wieder in ihren jeweiligen Heimatstädten waren - mit Ausnahme von Bobby natürlich, der nicht weit von ihren Eltern wohnte.
»Ich habe gute Neuigkeiten«, hatte Bill seiner Schwester gesagt.
»Und was?«
»Dad steht nicht mehr unter Verdacht. Zumindest gilt er nicht mehr als Hauptverdächtiger.«
»Warum?«
»Der Gerichtsmediziner hat erklärt, der tödliche Schlag sei von einem Linkshänder gekommen, und Dad ist Rechtshänder.«
»Das haben sie erst jetzt herausgefunden?«
»Die Mühlen des Gesetzes mahlen langsam, Schwesterlein. Trotzdem sind das gute Nachrichten.«
»Wie kommt es eigentlich, dass ihr alle Dad allein gelassen habt?«
»Das haben wir nicht. Er hat uns verlassen.«
»Was heißt das?«
»Er hat uns gesagt, wir sollten endlich aus der Stadt verschwinden, er könne uns nicht mehr sehen. Du weißt ja, wie er sein kann.« Michelle konnte ihren ältesten Bruder förmlich lächeln sehen.
»Glaubst du wirklich, ihr solltet ihn allein lassen?«
»Bobby ist ja noch da, und Dad ist ein großer Junge. Er kann auf sich selbst aufpassen.«
»Das ist nicht, was mir Kopfzerbrechen bereitet.«
Bevor Bill sie fragen konnte, was sie damit meinte, hatte Michelle schon aufgelegt.
Sean sagte: »Die gute Nachricht ist also, dass dein Vater kein Verdächtiger mehr ist, aber du hast Angst, dass er die Sache selbst in die Hand nehmen könnte, stimmt's?«
»Meine Brüder sind zwar großartige Cops, aber vollkommen ahnungslose Söhne. Sie könnten sich nie vorstellen, dass mein Dad so etwas tut ... oder dass meine Mutter ihn nach Strich und Faden betrogen hat.«
»Und du kannst das?«
Michelle schaute Sean an, wandte sich aber rasch wieder ab. »Ja, das kann ich.«
Michelle fuhr wie immer ohne jede Rücksicht auf Geschwindigkeitsbeschränkungen, und nach nur zwei Pinkelpausen kamen sie kurz nach fünf Uhr morgens am Haus ihres Vaters an. Hätten sie den Morgenflug genommen, wären sie erst vier Stunden später hier gewesen.
Michelle warf einen Blick in die Garage und schüttelte den Kopf. Der Camry stand nicht dort. Mit ihrem Schlüssel betrat sie das Haus. Es war niemand da.
»Hat dein Dad irgendwo einen Safe für seine Waffen?«, fragte Sean.
»Soviel ich weiß, hat er nur einen Kasten für seine Pistole - vermutlich im Schlafzimmerschrank.«
Sean schaute nach. Er fand den Kasten, entdeckte aber keine
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