Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
würde.
Waters sagte: »Ich habe hier einen Gerichtsbeschluss«, er hielt ein Blatt Papier in die Höhe, »der es mir gestattet, Ihre Handtasche und auch Sie selbst zu durchsuchen.«
»Wie bitte? Ich bin doch keine Kriminelle!«
»Wenn Sie über Beweise in einem Entführungsfall verfügen und diese wissentlich zurückhalten, sind Sie sehr wohl kriminell, Ma'am.«
»Was erlauben Sie sich!«
»Ich versuche nur, Ihre Nichte zurückzuholen. Ich vermute, das ist in Ihrem Interesse.«
»Wie können Sie es wagen ...«
Waters schaute zu Fuller. »Wir können das auf die leichte oder die harte Tour durchziehen. Es liegt an ihr.«
Fuller sagte: »Mrs. Cox, der Secret Service ist über die Maßnahmen des FBI informiert, und offiziell haben wir kein Recht, sie aufzuhalten. Das ist eine Bundesermittlung. Die Anwälte des Weißen Hauses sehen das genauso.«
»Dann sind ja alle einer Meinung«, spottete Jane. »Alle arbeiten hinter meinem Rücken gegen mich. Schließt das auch meinen Mann mit ein?«
»Dazu kann ich nichts sagen«, antwortete Fuller rasch.
»Ich schon«, sagte Jane, »und das werde ich auch, sobald wir wieder im Weißen Haus sind.«
»Das ist Ihr gutes Recht, Mrs. Cox.«
»Nein, das ist meine Mission!«
»Der Brief, Mrs. Cox«, meldete Waters sich wieder zu Wort. »Wir haben nicht viel Zeit.«
Langsam öffnete Jane ihre Handtasche und steckte die Hand hinein.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Ma'am, nehme ich den Brief selbst heraus.«
Jane warf Waters einen Blick zu, den er vermutlich den Rest seines Lebens nicht vergessen würde. »Zeigen Sie mir erst den Gerichtsbeschluss.«
Waters reichte ihr das Dokument. Jane las es langsam durch und hielt dann ihre Tasche auf. »Ich habe auch Lippenstift da drin, wenn Sie auf so was stehen.«
Waters schaute sich den Inhalt der Tasche an. »Der Brief reicht mir, Ma'am.«
Er holte den Brief heraus. Jane schloss die Tasche so schnell, dass sie Waters fast den Finger eingeklemmt hätte. »Das wird Sie Ihre Dienstmarke kosten«, zischte sie und funkelte dann Fuller an. »Und? Können wir jetzt endlich fahren?«
Fuller drehte sich zum Fahrer um. »Los.«
Zurück in 1600 Pennsylvania Avenue ging Jane sofort in ihre Wohnung. Sie zog ihren Mantel aus, trat die Schuhe von den Füßen, ging in ihr Schlafzimmer und verschloss die Tür. Sie öffnete ihre Handtasche, schob die Finger in den kaum sichtbaren Riss im Futter und zog den Brief heraus. Er war direkt an sie adressiert. Alles mit Schreibmaschine geschrieben. Sie öffnete ihn. Nur ein Blatt war darin, ebenfalls mit Maschine geschrieben.
Jane hatte gewusst, dass sie vom FBI beschattet wurde. Als sie das Fach geöffnet und den Brief gesehen hatte, hatte sie die Tasche nahe ans Fach gehoben und den Brief im Futter verschwinden zu lassen, obwohl es nach außen hin so aussah, als hätte sie ihn in die Tasche gesteckt. Den Brief, den sie Waters gegeben hatte, hatte sie selbst auf einer Maschine geschrieben, die sie in einer Abstellkammer des Weißen Hauses gefunden hatte. Den falschen Brief hatte sie dann in ihre Tasche gesteckt, bevor sie zur Postfiliale gefahren war. Welcher Mann käme schon auf die Idee, im Futter nachzuschauen, wenn ein anderer Brief direkt neben ihren Kosmetika lag? Jane hatte sogar eine Packung Tampons dazugetan, um den Mann noch mehr aus der Fassung zu bringen. So hatte er es nicht gewagt, noch länger in ihrer Tasche herumzukramen.
Der Umschlag, den sie über die Küche des Weißen Hauses bekommen hatte, war weiß gewesen; also war sie davon ausgegangen, dass es auch bei diesem Brief der Fall sein würde. Sie hatte gewusst, dass die Agenten höchstens eine Ecke des Briefes sehen würden, wenn sie ihn in ihrer Tasche verschwinden ließ.
Und sie hatte auch gewusst, dass man sie zur Rede stellen würde, kaum dass der Brief angekommen war. Jane hatte ihre eigenen Quellen im Weißen Haus. Nicht nur der Secret Service bekam alles mit, was hier vor sich ging, sie auch. Deshalb hatte das FBI sie mit dem Gerichtsbeschluss nicht überrascht. Sie hatte die arrogante Bundespolizei übers Ohr gehauen.
Doch das Triumphgefühl war nur von kurzer Dauer. Mit zitternden Händen öffnete Jane den Brief und begann zu lesen. Sie entdeckte ein Datum und eine Uhrzeit, zu der sie eine Telefonnummer anrufen sollte, die ebenfalls in dem Brief genannt war. Die Nummer sei nicht zurückzuverfolgen, hieß es. Wichtiger aber war etwas anderes: Sollte jemand anders den Anruf tätigen, bei dem alles enthüllt werden
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