Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
Plan, hier zu essen, war spontan entstanden, denn die First Lady hatte sich erst in letzter Minute dazu entschieden. Deshalb hatte der Secret Service überstürzt ein Team zusammenstellen müssen, aber daran waren sie gewöhnt - besonders in letzter Zeit mit Jane Cox, die seit der Entführung ihrer Nichte fast jeden Termin über den Haufen geworfen hatte.
Das Essen wurde serviert, der Wein getrunken. Dann und wann schaute Jane auf ihre Uhr. Tuck bemerkte es gar nicht. Er war viel zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Die anderen beiden Gäste hatte Jane nur deshalb ausgewählt, weil sie die Eigenschaft besaßen, systematisch alles zu ignorieren, was nichts mit Politik zu tun hatte. Nach ein paar höflichen Fragen, wie es Tuck gehe und ob es schon etwas Neues in dem Fall gebe, plapperten sie munter über diesen oder jenen Senator, den Stand des Wahlkampfs und die letzten Umfragewerte. Jane nickte immer nur und gab ihnen gerade genug Feedback, um sie am Reden zu halten.
Und sie schaute weiter auf die Uhr.
Sie hatte dieses Restaurant nicht nur wegen des guten Essens ausgesucht. Es gab noch einen anderen Grund.
Fünf Minuten vor elf winkte sie dem Chef ihrer Sicherheitsabteilung, der an einem Ecktisch saß. Der Mann sprach in sein Funkgerät. Daraufhin ging eine Agentin zur Damentoilette. Sie überprüfte den Waschraum, gab das Okay-Zeichen und baute sich dann vor der Tür auf, um andere weibliche Gäste davon abzuhalten, die Räumlichkeiten zu betreten, egal wie sehr ihre Blase drücken mochte.
Zwei Minuten vor elf betrat die First Lady die Damentoilette, ging nach hinten und starrte es an.
Das war der Grund, warum sie hierhergekommen war. Dieses Restaurant war das einzige seiner Art, das sie kannte, und das noch ein funktionierendes Münztelefon in der Damentoilette hatte.
Jane hatte sich eine Telefonkarte besorgt. Ihre Kreditkarte wollte sie nicht benutzen; die hätte man zurückverfolgen können. Sie wählte die Nummer aus dem Gedächtnis.
Es klingelte einmal. Zweimal. Dann hob jemand ab. Jane atmete tief durch.
»Hallo?«, sagte eine Männerstimme.
»Jane Cox hier«, erwiderte Jane so deutlich, wie sie konnte.
***
Sam Quarry saß in seiner Bibliothek in Atlee. Im Kamin prasselte ein Feuer. Er würde den verdammten Schürhaken heute richtig zum Glühen bringen. Quarry trank einen Schluck seines liebsten Schwarzgebrannten. Vor ihm standen Fotos von Tippi und seiner Frau. Die Bühne war bereitet. Er hatte Jahre mit der Planung verbracht. Jetzt war der Moment endlich gekommen.
Quarry benutzte ein Klon-Handy. Er hatte es sich von Daryl besorgen lassen, der einen Burschen kannte, der auf solche Sachen spezialisiert war: illegal und nicht nachzuverfolgen.
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte er bedächtig. »Sie sind sehr pünktlich.«
»Was wollen Sie?«, fragte Jane schroff. »Wenn Sie Willa etwas antun, dann ...«
Quarry fiel ihr ins Wort. »Ich weiß, dass Sie vermutlich Tausende Leute um sich haben, die sich gerade fragen, was Sie tun. Also lassen Sie mich reden, und bringen wir es hinter uns.«
»Einverstanden.«
»Ihrer Nichte geht es gut. Ich habe auch ihre Mutter bei mir.«
»Ihre Mutter ist tot«, entgegnete Jane. »Sie haben sie ermordet.«
»Ich meine ihre echte Mutter. Sie kennen Sie als Diane Wright. Inzwischen heißt sie Diane Wohl. Sie hat geheiratet, ist umgezogen und hat noch mal von vorn begonnen. Ich wusste nicht, ob Sie das wissen ... oder ob es Sie überhaupt interessiert.«
Jane stand am Telefon in der Damentoilette und hatte das Gefühl, als hätte ihr gerade jemand in den Kopf geschossen. Sie musste sich an der Wand abstützen.
»Ich weiß nicht, was ...«
Erneut unterbrach Quarry sie. »Ich werde Ihnen jetzt sagen, was Sie tun müssen, um Willa wiederzusehen - und nicht als Leiche, meine ich.«
»Woher soll ich überhaupt wissen, dass Sie Willa haben?«
»Hören Sie einfach zu.«
Quarry schaltete ein altes Diktiergerät ein und hielt es an das Handy. Bei seinen Besuchen bei Willa und Diana hatte er das Gerät stets dabeigehabt und die Stimmen der beiden heimlich aufgenommen.
»Willa zuerst«, sagte er. Willas Stimme klang vollkommen klar, als sie sich mit Quarry über den Grund für die Entführung unterhielt.
»Und jetzt Diane. Ich dachte, Sie wollten sich mal anhören, warum sie ihre Tochter aufgegeben hat.«
Nun kam Diane, gefolgt von Quarry, der ihr die Ergebnisse des DNA-Tests erläuterte.
Quarry schaltete das Gerät aus und hob das Handy ans Ohr.
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